Willigis Jäger über sein Urvertrauen in das unbegreifliche unsterbliche Bewusstsein, das Eingehen in eine neue Seinsweise und sein Verständnis ewigen Weiterlebens
Alle Weisheitslehren und alle Religionen umkreisen in unendlichen Variationen das Thema Tod und die Beziehung zwischen Leben und Tod und Wiedergeburt – in welcher Form auch immer. Ob unter der Überschrift »Seelenwanderung«, »Auferstehung«, »Paradies«, »Unsterblichkeit der Seele« oder »Nirvana« – stets wird der Tod als Variante des Lebens und das Sterben als Akt der Verwandlung verstanden. Während sich spirituelle Traditionen bewusst mit dem Thema Tod beschäftigen und es hier sogar eine Vielzahl von Techniken gibt, in denen sich der Praktizierende bewusst mit dem Tod auseinandersetzt, wird das Thema Tod in unseren Breitengraden jedoch noch sehr ausgeklammert und als etwas vom Leben Getrenntes betrachtet. Gestorben wird hinter geschlossenen Kliniktüren. Mit Willigis Jäger habe ich vor einigen Jahren ein spannendes Interview zu dem Thema Tod geführt.
Doris Iding: Eines Ihrer Bücher heißt, „Das Leben endet nie“. Darin geht es Ihnen um die Vermittlung einer neuen Sicht auf das Sterben und den Tod. Was genau möchten Sie Ihren Lesernfür eine neue Sichtweise auf ein so großes Tabu-Thema wie den Tod vermitteln?
Willigis Jäger: Wir sind viel mehr als wir meinen zu sein und wir sind etwas ganz anderes als wir meinen zu sein. Wir sind nur das Instrument, auf dem ein unsichtbarer und unbegreifbarer Spieler spielt. Wir sind auch mehr als unser Unbewusstes. Wir sind immer eingeschlossen in das EINE.
Meister Eckhart sagt daher: „Wenn ich in den Grund, in den Boden, in den Strom und in die Quelle der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Dort hat mich niemand vermisst. Wir können aus dem Göttlichen Urprinzip nicht herausfallen.
D. I.: Sie selbst selbst über 80 Jahre alt und noch sehr rüstig und aktiv. Wie geht es Ihnen in Bezug auf Ihren eigenen Tod?
Willigis Jäger: Wir haben im Christentum viel zu viel von Gericht, Strafe, Hölle, Fegefeuer geredet und der Buddhismus redet zu viel von Reinkarnation. Die Angst vor dem Tod, vor Strafe und schlechter Wiedergeburt wurde uns tief in die Seele eingebrannt. Mein Urvertrauen sagt mir, dass es eine Existenzweise gibt, die mein rationales und sinnenhaftes Begreifen weit übersteigt. Sie drückt sich in mir aus. Reinkarnation und personales Weiterleben ist mir zu menschlich gedacht. Diese für uns unbegreifliche Wirklichkeit, die wir Abendländer Gott nennen, der Osten Leerheit nennt, ist ein ganz anderes Bewusstsein als das unsere. Wir können uns nicht vorstellen, was einmal sein wird. Darum sterbe ich mit einem Urvertrauen, dass dieses unbegreifliche Bewusstsein „sinnvoll“ weitergehen wird.
D.I.: Was stirbt Ihrer Meinung nach?
Willigis Jäger: Es stirbt nur die Hülle, in der sich das Unbegreifliche in meinem Menschsein ausdrückt. Wir sind nicht das, was wir meinen zu sein. Dieses Haus ICH existiert nicht. Es stirbt das vordergründige Personale. Sicher geht ein Energiebündel weiter. Denn in diesem Universum kann keine Energie verloren gehen. Was daraus wird, kann niemand sagen, auch der nicht, der meint, es zu wissen.
D.I.: Und was lebt weiter?
Willigis Jäger: Das Leben. Leben kann nicht sterben. Noch einmal, wir sind etwas ganz anderes als wir meinen zu sein. Unser Ich verdeckt uns, was wir wirklich sind. Die berühmte Geschichte vom Jünger, der das Antlitz der Göttin sehen wollte, sagt uns das bildhaft. Wer den Schleier von ihrem Bild hebt, unter dem sie verborgen ist, und das Antlitz der Göttin sieht, muss sterben. Der Jünger sagte sich, lieber sterben, als ewig von dieser Sehnsucht geplagt zu sein, das Antlitz der Göttin zu sehen, und hob den Schleier. Und was sah er? Er sah sich selber, sein wahres Antlitz, sein göttliches Leben. Und das ist weder geboren, noch kann es sterben.
D. I.: Haben Sie im Hinblick auf Ihren eigenen Tod manchmal das Gefühl, noch so viel vor zu haben, dass Sie befürchten, nicht alles zu schaffen?
Willigis Jäger: Nein! – Es kommt im Leben nicht auf Leistung an, sondern auf Sein. Niemand wird mich einmal fragen, was ich geleistet habe. Entscheidend ist, dass ich wirklich Mensch war mit allen Möglichkeiten, die mir gegeben wurden. Ganz Mensch zu sein, zu dieser Zeit, an diesem Ort auf diesem Staubkorn am Rand des Weltalls, das ist der einzige Grund, warum ich hier bin. Christlich gesagt: Gott möchte in mir Mensch sein zu dieser Zeit in dieser Gestalt und an diesem Ort.
D. I.: Ich weiß nicht, ob mein Eindruck stimmt, aber ich habe das Gefühl, dass viele ältere Menschen in Ihre Seminare kommen. Wenn ja, wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Willigis Jäger: In Indien teilt man das Leben in drei Phasen ein: Entwicklung und Ausbildung, Beruf und Lebensaufgabe und eine Zeit, in der sich der Mensch zurücknehmen und nach Innen gehen darf, um den Sinn des Lebens tiefer zu begreifen. Ich habe gerade im Gilgamesch-Epos gelesen. Es wurde 2700 Jahre vor Christus geschrieben. Gilgamesch, den Herrscher von Mesopotamien, trieb damals schon die Frage um: Woher komme ich? Wer bin ich? Wo gehe ich hin? Diese Frage stellt sich jeder Mensch, spätestens wenn er den Zenit seines Lebens überschritten hat. Wir helfen den Menschen auf dem Benediktushof dabei, eine Antwort in sich selbst zu finden. Es kommen mehr und mehr auch junge Menschen. Diese Frage scheint den Menschen in unseren Tagen schon sehr viel früher einzuholen.
Interview auf Yoga Aktuell
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