Im ursprünglichen Sinne war das körperlich ausgerichtete Yoga eine Art der Therapie im 1:1 Kontakt. Denn nur so kann ist es möglich, den Yoga an den Menschen anzupassen und nicht den Menschen an Yoga. Darin besteht das Ziel des Yoga. Das ist hier vielerorts aber leider untergegangen. Umso wichtiger ist es, Menschen vorzustellen, denen die Yogatherapie am Herzen liegt.
Holger Zapf, der Begründer von Unit Yoga in Wiesbaden ist einer davon. Er ist Diplomsportwissenschaftler und beschäftigt sich seit 2004 intensiv mit der Wirkung von Yoga auf Körper und Geist. In diesem Interview erklärt er, was genau unter Yogatherapie zu verstehen ist und warum es so wichtig ist.
Doris Iding: Wie genau definierst Du Yogatherapie?
Holger Zapf: Ich verstehe unter Yogatherapie, Menschen bei speziellen körperlichen Beschwerden durch eine gezielte und individuelle Auswahl von Werkzeugen aus den Bereichen Yogaphilosophie, Asana, Pranayama oder Meditation helfen zu können.
Das therapeutische daran sind meiner Meinung nach hier nicht „nur“ die Werkzeuge, sondern die Lehrer, die mit Einfühlungsvermögen, Empathie und viel Wissen über den menschlichen Körper und die Psyche die Werkzeuge in der für die Problematik des Menschen passenden Weise zusammenstellen.
Yogatherapeutisches Wirken findet für mich also 1:1 im Yoga Personal Training statt
Doris Iding: Warum ist Yogatherapie für dich so wichtig?
Holger Zapf: Als Sportwissenschaftler habe ich auch Erfahrung in der Physiotherapie und kenne daher viele Behandlungsmethoden aus den "westlichen Therapieverfahren". Im Vergleich dazu sind viele Übungen aus dem Yoga sehr wirkungsvoll, da im Yoga Körper und Geist als Einheit gesehen werden und nicht nur die rein körperliche Wirkung im Vordergrund steht. Natürlich muss man hierfür genau wissen, wie man sie anwenden kann. Auch ich habe selbst die Erfahrung gemacht, wie kraftvoll yogatherapeutische Arbeit bei speziellen Beschwerden sein kann.
Im Hinblick darauf, dass 8 von 10 Teilnehmern schon mal Rückenschmerzen hatten oder auch die Anzahl der Yogalehrer, die ich allein schon kenne, die aufgrund spezieller Beschwerden oftmals auf ihre Yogapraxis verzichten, ist es mir ganz besonders wichtig, hier Aufklärung zu leisten, dass man gerade mit Beschwerden Yoga üben sollte. Wichtig ist das richtige Maß und die richtigen Übungen.
Doris Iding: Für wen eignet sich die Yogatherapie besonders?
Holger Zapf: Meiner Meinung nach sollte jeder einmal eine Yogatherapie Einheit buchen. Selbst wenn man keine Beschwerden hat, kann man Beschwerden vorbeugen, indem man daran arbeitet, in Balance zu üben und damit einen Ausgleich herzustellen.
Im Besonderen aber natürlich Menschen, die Beschwerden jeglicher Art haben und bereit sind, an sich und Ihrer Praxis zu arbeiten. Je größer die Beschwerden oder die Ungeduld des Übenden, desto wichtiger ist es individuell betreut zu werden und individuell zu arbeiten. Natürlich sind im yogatherapeutischen Arbeiten die Fortschritte am größten, da die Inhalte der Stunde jedes Mal aufs Neue maßgeschneidert werden. Jede Stunde wird individuell aus den Elementen Yogaphilosophie, Asana, Pranayama oder Meditation zusammengestellt und natürlich kommen dann auch noch die individuellen Hilfestellungen dazu. Im Prinzip gibt es keine Asana ohne gezielte Ausrichtung oder Hands on, Massagetechniken werden eingesetzt oder auch spezielle Atemtechniken eingebunden.
Doris Iding: Wie viele Sitzungen sollte man hier einkalkulieren?
Holger Zapf: Das kann individuell ganz verschieden sein. Oftmals reichen 1-3 Stunden aus, um bei spezifischen Beschwerden einen individuellen Übungsplan zusammenzustellen, oder Variationen für bestimmte Asanas zu zeigen, die Linderung verschaffen und dann im Gruppenkurs oder beim Üben zu Hause umgesetzt werden können. Bei chronischen Beschwerden können es aber auch mehrere Einheiten sein. Manche Menschen gönnen sich ihre Yogatherapiestunde aber auch regelmäßig über Jahre.
Doris Iding: Wie lange sollte der Abstand zwischen den einzelnen Yogatherapiestunden sein?
Holger Zapf: Auch das hängt von dem Beschwerdebild ab und lässt sich aus meiner Sicht nicht pauschal beantworten. In den meisten Fällen stelle ich erst einmal einen individuellen Übungsplan für die Yogatherapie-Einheit auf und gebe anschließend einen Yoga-Plan für zu Hause mit.
Ich fotografiere dann die einzelnen Bestandteile und sende sie zu, damit die Menschen einen Anker haben und sich an die Übungen erinnern. Nach 4-6 Wochen machen wir dann einen Folgetermin aus, überprüfen die Fortschritte und passen das Programm an.
Manchen Übenden fällt es aber auch schwer, alleine zu üben. Dann sind die Abstände zwischen den Sitzungen kürzer, da sie das Programm lieber mit meinen Hilfestellungen absolvieren.
Beide Ansätze sind absolut in Ordnung. In jedem Fall ist es mir ganz besonders wichtig, nicht die „moralische Keule“ zu schwingen, sondern herauszufinden, wie ich mein Gegenüber auf dem Weg zu einer eigenen regelmäßigen Praxis unterstützen kann.
Doris Iding: In meinen Augen ist die Yogatherapiestunde natürlich sehr wichtig, aber viel wichtiger noch erscheint mir persönlich das Üben zwischen den einzelnen Therapiestunden. Wie häufig sollte man üben?
Holger Zapf: Das sehe ich genauso! Am besten wäre es natürlich regelmäßig 5-6x pro Woche, aber dafür nicht so intensiv, zu üben. Bei vielen Beschwerdebildern kristallisieren sich sehr schnell 3-4 wirkungsvolle Übungen heraus. Diese zu üben dauert oft nicht viel länger als 10min pro Tag, gerade wenn es sich um Asanas handelt.
In der Realität fällt es den Kunden dann doch sehr schwer, diese zu üben, weil der Alltag mit seinen Verpflichtungen oftmals zu viel Ablenkungen bietet. Ich höre oft, das es die ersten 2 Tage gut geklappt hat und die Motivation dann wieder abgeklungen ist.
Deswegen versuche ich die Menschen nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Denn es gibt Untersuchungen, dass über 90% aller Erkrankungen auf psychosomatische Ursachen zurückzuführen sind. Da möchte ich natürlich nicht durch einen zu übermotivierten Ansatz für zusätzlichen Druck oder Stress sorgen, denn diesen machen sich die Leute schon selber, wenn Sie eine Einzelstunde buchen. Deswegen kann im Einzelfall meine Empfehlung auch bei 1-3x Üben pro Woche liegen.
Doris Iding: Wie lange braucht es deiner Erfahrung nach, bis sich das Verhalten in der Tiefe verändert hat?
Holger Zapf: Hier kann ich keine pauschale Antwort geben. Das hängt ganz stark vom Einzelfall ab. Manche Menschen brauchen nur eine entsprechende Information oder einen Denkanstoß z.B. aus dem Yoga Sutra und können die Dinge dann sofort umsetzen! Ich bin immer wieder beeindruckt wie stark und schnell Jnana Shakti -Die Kraft der Erkenntnis wirken kann!
Andere wiederum brauchen mehr Zeit, bis die Veränderungsprozesse greifen. Das erlebe ich häufig, wenn es um Fehlhaltungen geht, bei denen es oft um vom Gehirn „falsch“ abgespeicherte Bewegungsprogramme geht. Nehmen wir als Beispiel die bei vielen Frauen -oft als Folge der Schwangerschaft- fehlende Bauchspannung. Oft ist gerade die Muskulatur unterhalb des Bauchnabels - hier vor allem der Muskulus Transversus – und oft auch die Beckenbodenmuskulatur abgeschwächt. Aus physiologischer Sicht sind das sehr wichtige Muskelgruppen, da diese maßgeblich für die Stabilisierung der Lendenwirbelsäule sind, aber auch aus energetischer Sicht sind diese wichtig, da durch diese Kontraktion dieser Muskulatur Mula und Uddiyana Bandha gesetzt werden. Deswegen gehen aus meiner Erfahrung oft Lendenwirbelsäulen-Probleme mit dem Gefühl der Abgeschlagenheit einher. Denn Mula und Uddiyana Bandha sorgen dafür, dass das Prana im Körper verbleibt, erhöht und richtig verteilt wird.
Anatomisch sorgen diese Muskelgruppen für eine Stabilisierung/Entlastung im unteren Rücken, indem das Kreuzbein zum Schambein gezogen wird und damit mehr Länge in der LWS entsteht.
Energetisch kommt es zu einer Anhebung des Energieniveaus. Denn bei der Geburt öffnet sich Mula Bandha weit und es verlässt sehr viel Ausscheidungsenergie (Apana Vaju) den Körper. Diese Energie wird dann für die Geburt nutzt. Danach muss sich dieser Verschluss auch wieder aufbauen, weshalb junge Mütter oftmals über mangelnde Energie klagen, was aus yogischer Perspektive nicht nur auf den Schlafmangel zurückzuführen ist.
Bis wir hier wieder die Verknüpfung hergestellt haben, dass es nach 9 Monaten loslassen wichtig ist, im Stand den unteren Anteil der Bauchmuskulatur zu aktivieren, den Beckenboden wieder in seine Form zu bringen und die Muskulatur entsprechend aufgebaut ist, kann es schon etwas dauern.
Doris Iding: Warum tun sich die Menschen deiner Meinung nach so schwer, regelmäßig zu üben?
Holger Zapf: Im ersten Moment könnte man hier den berühmten „inneren Schweinehund“ ins Spiel bringen aber aus meiner Sicht steckt hier wesentlich mehr dahinter, denn im Yoga geht es um tiefe Veränderungsprozesse. Veränderungsprozesse erfordern viel Energie, sind also auf physisch wie psychischer Ebene sehr fordernd. Es bedarf viel Disziplin, immer wieder aufs Neue Veränderungsprozesse zu initiieren. Es erscheint uns einfacher, sich in der Komfortzone zu bewegen.
Patanjali findet hierfür im Yoga Sutra 1.30 ebenfalls eine sehr schlüssige Erklärung. Er beschreibt in diesem Zusammenhang die 9 Antarayas (Hindernisse) die unseren Blick fürs Wesentliche -also unserer Yogapraxis- immer wieder verschleiern. Hierzu zählt er Unbeständigkeit, Faulheit und fehlende Zielstrebigkeit.
Wir können uns das sehr schön an einem Beispiel einer Schülerin von mir vor Augen führen, dessen Namen ich hier verändert habe.
Sabine, 35 Jahre, hat starke Nackenverspannungen und oft Kopfschmerzen. Auf physischer Ebene ist die Ursache eine muskuläre Dysbalance, weil die Brustmuskulatur in der typischen Schreibtisch-Sitz-Haltung einfach mehr Kraft entwickelt, als die „obere Rückenmuskulatur, die die Schulterblätter und damit die Schultern nach hinten unten ziehen würde. Gleichzeitig fühlt sich Sabine auf psychischer Ebene in dieser Schutzhaltung sehr wohl, da sie sich sehr schnell angegriffen fühlt und lieber gleich „in Deckung geht“. So rettet sich Sabine dann auch vor Überforderung von Außen, denn die schiefe Haltung führt zu starken Verspannung und zu Kopfschmerz. Damit ist ein Rückzug sozusagen „erlaubt“, denn Kopfschmerzen kann ja jeder nachvollziehen und alle zeigen Rücksicht.
In der Yogatherapie besprechen wir beide Ursachen für die Nackenschmerzen und üben entsprechend. Die Rückenmuskulatur kräftigende Asanas, sorgen dafür, dass sich Sabine zwar aufrichtet, gleichzeitig werden aber alle inneren Alarmglocken schrillen, da Sabine durch die aufrechtere Haltung scheinbar „angreifbarer“ wird. Sie könnte zwar im Alltag die Schulterblätter nach hinten unten ziehen und so den Nacken entlasten, wird es aber aufgrund des psychologischen Aspektes nur selten tun. Deswegen üben wir auch Yoga um das Wurzelchakra und so das Selbstvertrauen zu stärken und damit auch die Fähigkeit, sich abzugrenzen und sich einfach mal eine Pause zu gönnen.
So wirkt Yoga also persönlichkeitsverändernd, hat Auswirkung auf das gesamte Leben und die innere und äußere Haltung von Sabine. Das kostet viel Energie und ist herausfordernd.
Diese Veränderungen sind richtig und wichtig für Sabine, aber wenn dann noch andere Stressoren dazu kommen, ist eben manchmal zu wenig Energie für Yoga da und Sabine hört auf zu üben, da es dann doch weniger „Aufwand“ ist, die Schultern zum Schutz nach vorne zu ziehen.
Doris Iding: Wie kann die Yogatherapie sie darin unterstützen, dranzubleiben?!
Holger Zapf: Hier geht es mir darum, den individuellen Mix aus Yogaphilosophie, Asana, Pranayama oder Meditation –also die Stufen des 8gliedrigen Pfads des Yoga, die wir beeinflussen können- zu finden. Pranayama ist aus dem Worten Prana –also Lebensenergie und Ayama –Anhäufen zusammengesetzt. Zusammen mit dem korrekten Setzen der Bandhas kann so die Lebensenergie erhöht werden. Dieses mehr an Energie versetzt uns dann in die Lange, regelmäßig zu üben und so die Veränderungsprozesse, die uns wirklich dienlich sind zu initiieren. Yoga sehe ich also als ein Werkzeug an. Und je nachdem, was gerade im Fokus steht, ist eben mal das eine oder auch das anderes Werkzeug nötig.
Es ist nicht immer nur der Vorschlaghammer, manchmal haben die filigranen Dinge eine viel größere Wirkung. So ist es mir wichtig, dass sich der Yoga dem Schüler anpasst und nicht umgekehrt. Mit Achtsamkeit und Erfahrung lernen meine Schüler dann regelmäßig so zu praktizieren, dass Yoga wirklich guttut und dienlich ist und nicht zu einer zusätzlichen Belastung wird. Dann fällt es auch viel leichter das Geschenk, dass uns der Yoga macht, täglich aufs Neue wertzuschätzen und zu genießen.
Doris Iding: Vielen Dank für das Interview!
Weitere Infos zu Unit Yoga findest du hier
Holger Zapf ist Diplomwissenschaftler und hat Philosophie studiert. So hat er sich schon früh mit Körper und Geist beschäftigt und sich seit 2004 durch die Entdeckung von Yoga auf eine spannende Reise zur Ergründung der Seele begeben. Seitdem liebt und lebt er Yoga und hat verschiedene Aus- und Weiterbildungen (USA & Deutschland) absolviert und zeichnet sich durch eine große Offenheit gegenüber Neuem aus. Beruflich ist Holger seit 1992 in dem Bereich „Körper und Bewegung“ als Fitnesstrainer, in der Therapie, als Ausbilder und später im Management für große Fitnessketten und Gerätehersteller tätig gewesen. Mittlerweile bildet Holger zusammen mit seinem Team Yogalehrer (z.B. Yogalehrerausbildung 200h und +300h, Kinderyogalehrer, Pre- und Postnatal, Yoga Personal Trainer, Yoga und Business) in mehreren Deutschen Städten aus und hat 2 eigene Yogastudios in Hamburg und Wiesbaden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen