Dienstag, 7. April 2015

Leben im Jetzt - Ein Interview mit Eckhart Tolle

"Wir sind nicht unsere Gedanken. Wir sind weitaus mehr, als der ewige Strom von inneren Dialogen und zahllosen Wünschen, die uns an die Vergangenheit binden oder uns von der Zukunft träumen lassen. Unsere eigentliche Identität ist ein unendlich tiefer Friede, gepaart mit natürlicher Intelligenz. Zu finden im JETZT, im gegenwärtigem Moment." Dies behauptet zumindest Eckhart Tolle.

Mit 29 Jahren erlebte Eckhart Tolle eine tiefgreifende spirituelle Erfahrung, die ihn von der Qual seiner destruktiven Gedanken und seines Ego befreite. In einer einzigen Nacht verschwand sein mit der Vergangenheit identifiziertes Ich und zum Vorschein kam ein tiefer, nicht enden wollender Friede, gepaart mit unglaublicher Wachsamkeit und wundervollem Humor.

Die darauf folgenden Jahre verbrachte Eckhart Tolle zunächst mit der Integration dieser Erfahrung, bevor er zum spirituellen Lehrer wurde, zum Idol vieler spiritueller Suchender wurde. Im Herbst diesen Jahres kommt der spirituelle Superstar wieder nach Deutschland, um seine einfache und klare Botschaft wieder zu vermitteln. Nämlich, dass das Geheimnis zur vollkommenen Erfüllung nirgendwo anders liegt als HIER und JETZT, im gegenwärtigen Moment.

Mir war es möglich, Eckhart Tolle mehrfach zu interviewen, um von ihm persönlich zu hören, wie auch wir ins JETZT kommen können!

Doris Iding: Ihre Botschaft lautet, dass die Möglichkeit zur Beendigung des eigenen Leids und Erlangung vollkommener Erfüllung nur im gegenwärtigen Moment möglich ist. Theoretisch hört es sich einfach an, aber wie kann ein Familienvater von vier Kindern, mit einem anstrengenden Beruf und vielen hohen Fixkosten im JETZT entspannen?
Eckhart Tolle: Es hat schon immer Menschen gegeben, die wahrscheinlich eher zufällig realisierten, dass ein Leben frei von Leiden möglich ist. Auch heute noch kommen Menschen nicht nur durch spirituelle Lehren, sondern eher zufällig mit diesem Wissen in Kontakt. Meistens geschieht dies in Lebenssituationen, die von außen betrachtet unerträglich erscheinen.

Sie haben das Beispiel des Familienvaters gegeben. Es gibt aber noch schlimmere Situationen als diese, z.B. Menschen, die im Gefängnis eingesperrt sind oder an einer unheilbaren Krankheit leiden und nicht wissen, wie lange sie noch leben werden. In einer solchen Situation, in der man scheinbar nicht länger mit dem eigenen körperlichen oder seelischen Schmerz leben kann, ist die Chance für spirituelle Transformation besonders groß. Das Leid, welches ein Mensch in einer solchen Situation empfindet, liegt aber nicht an dem Lebensumstand selbst, sondern daran, dass er den gegenwärtigen Moment, so wie er ist, nicht annehmen will, deshalb vor ihm wegläuft oder ihm inneren Widerstand entgegen setzt.

Ich möchte näher erklären, warum dieser innere Wiederstand auftaucht. Menschen beginnen bereits als Kleinkinder, sich mit bestimmten Gedankenstrukturen und -formen zu identifizieren. Die erste Identifizierung ist der Name, dann der Besitz "mein Spielzeug". Dabei ist das Spielzeug selbst nicht entscheidend, sondern der Gedanke von "meinem" Spielzeug. Das heißt, Kinder fangen an, sich mit dem gegenständlichen Bewusstsein zu identifizieren. Darüber hinaus nimmt das Kind noch viele weitere Identifikationen aus der eigenen Kultur auf. Es wird durch seine Eltern, Lehrer und die Gesellschaft konditioniert und identifiziert sich im Laufe seines Lebens meist vollständig mit gesellschaftlichen Rollen. Diese Rollen - als Mutter, Vater, nicht gut genug, arbeitslos, erfolgreich - hält es für seine wahre Identität, ohne zu erkennen, dass es sich dabei lediglich um Gedankenformen handelt. Jede Rolle ist nur eine Gedankenform. Die meisten Menschen sind mit diesem Selbst, das aus den Gedankenformen entstanden ist, vollständig identifiziert. Sie kennen den Teil, der über dieses Selbst als "Ich als meine Rolle" hinaus geht, gar nicht.

Dieses begrenzte Bewusstsein beinhaltet ein tiefes Gefühl von "noch nicht genug zu haben" und "noch nicht vollkommen zu sein" und das Gefühl, für die eigene Vollkommenheit noch etwas zu benötigen. Darum versuchen Menschen alle möglichen Dingen anzuhäufen, um mehr sie selbst zu sein und vollkommener zu werden.

Doris Iding: Beinhaltet es auch das Gefühl, "mehr" spirituelle Erfahrungen zu benötigen, um vollkommen bzw. erleuchtet zu werden?
Eckhart Tolle: Es beinhaltet ein "mehr" auf allen Ebenen. Es beinhaltet auch, dass ich glaube, die Zukunft zu benötigen, um mich wohl zu fühlen. Der Mensch ist mit sich selbst und seiner eigenen vergangenen Geschichte unzufrieden. Kommt es zu einer Befriedung - wie zum Beispiel, wenn man verliebt ist - dann ist sie kurzlebig. Es entsteht das Gefühl, dass ich erst durch die Person, in die ich mich verliebt habe, vollkommen werde. Nach einiger Zeit stellt sich aber heraus, dass dieses Gefühl eine Illusion war. Dann entsteht erneut der Glaube, einen anderen Menschen zu brauchen, der einem in der Zukunft begegnen könnte und einem das Gefühl der Vollkommenheit vermitteln wird.

Dieses Selbst, das aus den Gedankenformen entstanden ist, lehnt den gegenwärtigen Moment ab, denn es ist nur an der Vergangenheit und der Zukunft interessiert. Dadurch ist der Mensch verdammt - es herrscht ein permanenter Zustand von Unzufriedenheit: bei dem Familienvater mit seinen vier Kindern, dem Gefangenen oder bei dem erfolgreichen Geschäftsmann, der kurz vor einem Herzinfarkt steht. Jeder kämpft auf die eine oder andere Art und Weise. Und es hat nichts damit zu tun, ob man viel oder wenig Geld hat. Die Unzufriedenheit und das Unglück werden in die eigene, persönliche Identifikation integriert.

Das durch die Gedanken kreierte Selbst ist nicht am JETZT interessiert, weil die Wahrnehmung dieses Selbst, des Ego, auf der Vergangenheit basiert. Es betrachtet das JETZT als Hindernis auf dem Weg, wo es eigentlich hin will: in die Zukunft. Irgendeine Situation in der Zukunft, in der "Ich mehr ich selbst sein kann".

Doris Iding: Wenn ich eine anscheinend aussichtslose Situation annehme, kommt das nicht einer Resignation gleich?
Eckhart Tolle: Viele Menschen sehen in dem JETZT, in dem gegenwärtigen Moment, nur einen Stolperstein. Sie glauben, dass sie in einem zukünftigen Moment glücklicher sein werden als im JETZT. Dabei handelt es sich bei der Zukunft nur um eine Gedankenform, denn keiner hat die Zukunft jemals getroffen. Wenn sie kommt, dann ist sie wieder der gegenwärtige Moment. Aber das realisieren die meisten Menschen nicht, egal in welchen Lebensumständen sie sich befinden.
Das Eigenartige ist: Je schlimmer die Lebensumstände, desto größer die potentielle Chance der Bewusstseinstransformation. In Situationen, die scheinbar aussichtslos sind, wie zum Beispiel eine schwere körperliche Behinderung, Krankheit oder in tiefgreifender Verlust, verstärkt sich zunächst der normale Widerstand gegen den gegenwärtigen Moment - und somit das Leid - um ein Vielfaches. Das Jetzt wird fast unerträglich. Es innerlich zuzulassen, das "so-sein" des Jetzt zu akzeptieren, scheint unmöglich und sinnlos. Doch dann, wenn der Mensch die Last des "leidenden Selbst" nicht mehr tragen kann, kann es geschehen, dass plötzlich innerlich etwas kippt. Das tief verwurzelte Nein zum gegenwärtigen Moment löst sich auf, und damit auch das leidende Selbst. Und wenn das Jetzt zugelassen wird so wie es ist, dann öffnet sich die Tür zu einem tiefen, inneren Frieden und einer Intelligenz, die jenseits des Denkens liegt. In diesem Bewusstseins-Shift wird das falsche Selbst, das aus Gedankenformen besteht, als Illusion - eine Art Traumbild - erkannt.

Wenn ich den gegenwärtigen Moment vollkommen annehme, nimmt das JETZT, das nichts anderes als das Leben selbst ist, auch mich vollkommen an. Manchmal ändert sich dann auch die äußere, scheinbar schwierige Situation wie von selbst. Dinge, die man schon fast als Wunder bezeichnen könnte, geschehen. Manchmal geschehen sie spontan aus der Person selbst heraus. Etwas, was du vorher nie hättest tun können, und plötzlich weißt du ganz genau, was zu tun ist. Oder es sind äußere Umstände, die sich wie von selbst plötzlich ändern.

Wenn man mit dem Bewusstsein des gegenwärtigen Moments verbunden ist, realisiert man, dass der gegenwärtige Moment, das JETZT immer der Gleiche ist und sich nur die Form des Momentes ändert. Es ist nicht der gegenwärtige Moment, der uns unglücklich macht, sondern der Widerstand, mit dem wir dem JETZT begegnen. Der Widerstand dem JETZT gegenüber sind die Gedankenformen, die das JETZT ablehnen, es kritisieren, sich darüber beschweren, die damit unglücklich sind und die Emotionen, die damit einhergehen, wenn wir es beurteilen. Im JETZT selbst ist nichts gut oder schlecht, aber unsere Gedanken machen es dazu. Der jetzige Moment ist, wie er ist.

Je mehr ein Mensch versucht, aus einer Situation herauszukommen, desto tiefer muss das bedingungslose Ja dazu sein. In einigen sehr extremen Lebenssituationen war ein einziges Ja genug, um eine tiefe Transformation mit sich zu bringen. Die Veränderung des Bewusstseins findet im JETZT statt. Es vollzieht sich ein Bewusstseins-Shift, in dem plötzlich realisiert wird, dass es entscheidend ist, mit dem gegenwärtigen Moment zu leben. Für einige Zeit sind manche Menschen dann in diesem Zustand des JETZT und das Leben fällt ihnen wesentlich leichter. Dann fallen sie wieder in das Nein zurück. Dann geht der Shift vor und zurück. Aber das neue Bewusstsein entsteht trotzdem.

Doris Iding: Wenn ein Mensch einmal mit diesem JA und der tiefen Qualität von Frieden in Kontakt gekommen ist, wie kann er dann in dieses NEIN zurückfallen?
Eckhart Tolle: Das Nein ist seit vielen Jahrtausenden tief im kollektiven menschlichen Bewusstsein verankert. In einem bestimmten Moment kommt es dann zurück wie eine Welle, eine Bewegung des mentalen und emotionalen Neins, die noch sehr viel Kraft besitzt. JETZT entsteht offensichtlich ein globales, neues Bewusstsein. Noch fallen die Menschen immer wieder in das alte Bewusstsein zurück und dann wechseln sie wieder in das neue Bewusstsein. Aber wenn das neue Bewusstsein einmal aufgetaucht ist, gibt es kein Zurück mehr. Es kann zwar zeitweilig verschwinden, aber es kommt immer wieder zurück.

Der ganze evolutionäre, unpersönliche Impuls des Universums bewegt sich in diese Richtung, dahin, wo ein größeres Bewusstsein herrscht und sich durch den Menschen äußert. Es ist der Sinn des menschlichen Lebens, dorthin zu gelangen.

Doris Iding: Viele Menschen haben Angst, den Verstand zu verlieren, wenn sie sich
dem JETZT ganz hingeben und ihren Verstand loslassen. Wie kann diese Angst
überwunden werden?
Eckhart Tolle: Niemand wird seinen Verstand verlieren, wenn er sich dem JETZT hingibt. Das Wundervolle am transformierten Bewusstsein ist, dass man den Verstand immer noch sehr gut verwenden kann. Man benutzt den Verstand in den Momenten, in denen es notwendig ist. Normalerweise denken wir nicht, sondern die Gedanken denken uns. Im JETZT hingegen wird man nicht länger vom Verstand beherrscht, nicht mehr vom Verstand benutzt.

Doris Iding: Was passiert noch im JETZT?
Eckhart Tolle: Das vom Verstand kreierte Selbst verschwindet in diesem Zustand. Die Vergangenheit ist zwar noch da, man erinnert sich daran, aber man identifiziert sich nicht mehr mit ihr. Die Identität, die dann auftaucht, stammt von einem viel tieferen Ort, einem Gefühl des Seins, einem Gefühl der Lebendigkeit, einem Gefühl des vollkommenen Friedens, das hier im JETZT ist. Das ist untrennbar von dem, was wir sind. Du bist DAS. Man könnte auch sagen: Du bist das JETZT, das Bewusstseinsfeld, in dem alles passiert. Aber wir sind nicht das, was passiert. Das kommt und geht. Wir sind nicht die Gedanken und Emotionen, die kommen und gehen, sondern die Ruhe, der Raum, in dem es passiert. Und in dem Moment, in dem man sich erlaubt, das JETZT zu sein, wie es ist, ist diese Weite, dieses unendliche Bewusstsein plötzlich da. Denn alles, was passiert, passiert in dieser Weite.

Doris Iding: Sie sagen, dass spirituelle Transformation für Menschen in schwierigen Lebenssituationen leichter ist. Sind z.B. die Menschen in Afghanistan, die tagtäglich viel Leid erfahren, der Erleuchtung näher, als der durchschnittliche spirituell Suchende, der ausgeschlafen und nach einem ausgiebigen Frühstück in Ihr Seminar kommt?
Eckhart Tolle: Es gibt viele verschiedene Formen von Leiden. Es gibt in unserer sogenannten fortschrittlichen Welt unter der glänzenden Oberfläche des glitzernden, schillernden Lebens genauso viel Leid wie in sogenannten Entwicklungsländern oder Kriegsgebieten. Der einzige Unterschied ist die Ausdrucksform des Leidens. Jeder hat seine eigene Lebenssituation, die sein Lehrer ist. Wenn Sie durch Indien reisen, dann können Sie zum Beispiel einen Bettler sehen, dem ein Arm fehlt und der sehr darunter leidet. Danach begegnen Sie einem Bettler, der weder Arme noch Beine hat und sich kaum bewegen kann. Aber er lächelt Sie an und aus seinen Augen erstrahlt ein Licht, und Sie können sehen, dass die Transformation durch dieses Leiden passiert ist.

Ich habe behinderte Menschen getroffen, die im Rollstuhl saßen oder unheilbare Krankheiten wie Krebs hatten, und trotzdem war kein Funke von Unglück mehr in Ihnen zu sehen, sondern sie wirkten lebendig, sie blühten. Gelegentlich sieht man auch alte Menschen, die dem Tod nahe sind und es strahlt ein Licht aus ihren Augen, wenn sie in den Zustand kommen, in dem kein Widerstand mehr herrscht. Sie sind mit ihren Gedanken nicht permanent in der Zukunft, weil sie wissen, dass nicht mehr viel Zukunft bleibt. Egal, in welcher Situation sich ein Mensch befindet: die Form, die der jetzige Moment annimmt, ist immer der Lehrer.

Doris Idin:  Es hört sich so an, als wäre eine spirituelle Lehre oder ein spiritueller Lehrer überflüssig, wenn eigentlich das Leben der Lehrer ist?
Eckhart Tolle: An einem gewissen Punkt ist es hilfreich, mit einem spirituellen Lehrer oder einer spirituellen Lehre in Kontakt zu treten. Dadurch wird der Vorgang vorangetrieben. Die spirituelle Lehre in ihrer Essenz beinhaltet, dass man nicht mehr leiden muss und keine Zeit mehr braucht. Und plötzlich ist man bereit, es zu hören.

Doris Iding: Das bedeutet, dass die spirituelle Transformation auf jeden Fall passieren wird, wenn ich dazu bereit bin. Dann reicht es, wenn ich Ihr Buch lese oder einem spirituellen Vortrag zuhöre?
Eckhart Tolle: Ja. Das ist richtig. Wenn der Apfel reif ist, dann reicht ein kleiner Windstoß und er wird vom Baum fallen. Manchmal reichen einfach nur ein bis zwei Sätze von der Wahrheit.
Im Moment gibt es, besonders in der westlichen Welt, eine weitverbreitete Bereitschaft. Einige Menschen haben erkannt, dass sie Erfolg auf der materiellen Ebene erreicht haben und trotzdem noch unglücklich sind. Andere spüren eine gewisse Sinnlosigkeit oder einen gewissen Überdruss, was zu Depressionen führen kann. Gerade in der westlichen Welt lesen viele Menschen mein Buch und sagen, dass sich ihr Leben dadurch geändert hat. "Ich leide nicht mehr" oder "Mein Leiden hat sich um 80% reduziert".

Doris Iding: Gibt es noch einen anderen Grund, warum das Bewusstsein größer wird?
Eckhart Tolle: Ja, es findet ein globales Bewusstseinswachstum auf diesem Planeten statt. Dies war bislang nicht der Fall. Früher war die Transformation des Bewusstseins eher purer Luxus. Es gelang nur einigen wenigen Menschen, sogenannte Erleuchtung zu erlangen. Aber die Situation hat sich geändert. Zum ersten Mal in der Geschichte der Erde bedroht die Dysfunktion, die in dem alten Bewusstsein der Menschen herrscht, nicht nur das Überleben der Menschen, sondern auch das Überleben der Erde selbst. Sie äußert sich zum Beispiel in der Zunahme von Terroranschlägen, Kriegen und Umweltzerstörung. Diese Dysfunktion, die wir bereits im 20. Jahrhundert gesehen haben, wird immer schlimmer. Wenn es keinen Bewusstseinswandel gibt, ist es unwahrscheinlich, dass die Menschheit oder der Planet noch weitere 100 Jahre überleben wird. Nun gibt es zum ersten Mal die Situation, dass wir uns entweder ändern müssen oder wir sterben. Mit anderen Worten könnte man auch sagen: uns geht die Zeit aus.

Das heißt, dass ein evolutionärer Druck auf dem Menschen lastet. Wahrscheinlich geht keine Spezies ohne diesen Druck durch eine evolutionäre Transformation. Das alte Bewusstsein funktioniert nicht mehr und etwas Neues muss entstehen. Aus diesem Grund besteht zum ersten Mal die Notwendigkeit einer kollektiven Bewusstseinstransformation. Es ist wundervoll, dies mitzuerleben, gleichzeitig aber auch eine sehr schwierige Zeit.

Doris Iding: Das Interesse an Spiritualität wächst enorm. Aber auf der anderen Seite nimmt auch der Terrorismus zu. Es sieht aus, als würde es immer eine Polarität zwischen Gut und Böse geben.
Eckhart Tolle: Wahr ist, dass Dinge zur Zeit besser und gleichzeitig schlimmer werden. Gewalt und Zerstörung nehmen zu, gleichzeitig aber auch das neue Bewusstsein.
Die Frage ist, ob das Alte dominiert oder ob das Neue stark genug sein wird, um es zu ersetzen. Das Alte wird sich vielleicht selbst zerstören. Es ist das mit Gedankenformen identifizierte Bewusstsein, dass sich entweder auf einer individuellen Ebene als persönliches Ego ausdrückt, oder ein kollektives Ego, das seine Feinde braucht, und früher oder später zur Selbstzerstörung führen wird. Wenn dieser Punkt erreicht ist, dann taucht die Frage auf, ob das Neue in genügend Menschen zum Vorschein gekommen ist, um zu dieser Transformation auf der allgemeinen Ebene zu führen. Es ist eine interessante Frage, ob die alte Struktur zusammenbricht und die Menschen auf eine niedrigere Bewusstseinsstufe zurückfallen oder sich selbst zerstören, was wahrscheinlicher wäre. Das Überleben auf dem Planeten würde unmöglich werden. Es ist wahr, dass Dinge momentan schlimmer werden, was offensichtlich ist, wenn man den Fernseher einschaltet. Aber das Neue erscheint ebenfalls sehr kraftvoll. Nur diese Entwicklung sehen wir nicht so oft im Fernsehen. Die Medien spiegeln im großen Umfang noch das alte Bewusstsein wieder.

Doris Iding: Wie komme ich dem neuen Bewusstsein, dem JETZT am nächsten?
Eckhart Tolle Man kommt dem neuen Bewusstsein näher, in dem man sagt: Das neue Bewusstsein ist schon hier. Sagen Sie nicht: Ich muss es erst noch erreichen. Für die Änderung des Bewusstseins braucht man keine Zeit. Dieser Gedanke ist das größte Hindernis. Das heißt, Sie brauchen nirgendwo hinzugehen. Sie brauchen nur vollkommen Ja zum gegenwärtigen Moment, zum JETZT, zu sagen.

Doris Iding: Vielen Dank für dieses Interview!

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