Montag, 1. Februar 2016

Von den Licht- und Schattenseiten spiritueller Gruppen

























Die Suche nach spirituellem Wachstum, die einen Menschen weiterbringt, ist so alt wie die Menschheit selbst. Der eine geht diesen Weg lieber alleine, der andere hat nur in einer spirituellen Gruppe das Gefühl, wachsen zu können. Gründe für und gegen den Eintritt in eine spirituelle Gruppe gibt es genügend, wie eine Umfrage zeigt, die im Rahmen dieses Artikels  durchgeführt wurde. Also kann das ob und wie lange ein Mensch sich anderen anschließt, nur kann nur jeder für sich entscheiden. Zu wünschen ist ihm bei dieser Entscheidung jedem eine gesunde Mischung aus Herz und Verstand, um immer wieder zu überprüfen, ob man sich selbst auf dem gemeinsamen Weg zur Erleuchtung verloren hat und nur noch eine Kopie der Gruppeideologie geworden ist. 
Das Flair im Münchner Olympiastadium hat im Oktober immer wieder etwas indisches: Der Duft von Räucherstäbchen empfängt mich bereits an der Eingangstüre und die Kleidung vieler, die mir hier begegnen, ist weiß. Amma ist wieder in der Stadt. Und so wie viele andere zieht es auch mich immer wieder zu der kleinen, rundlichen, ganz in weiß gekleideten Heiligen, die durch ihre Umarmungen schon so vielen Hilfesuchenden tröstenden Schutz und Heil gebracht hat. Aber es ist nicht nur Amma selbst, die mir in diesen Tag ein warmes Gefühl vermittelt, sondern es sind auch die vielen Menschen, die zu ihr ins Münchner Olympiastadium kommen. Auch wenn ich wie andere Besucher nicht zu Ammas Schülern zähle, so fühle ich mich in den Stunden, in denen ich den Worten der Südinderin lausche und ihre Segen spendende Umarmung genieße, irgendwie wie zu Hause. Und während ich dasitze und sehe, wie viele der Besucher sich scheinbar gut kennen, ertappe ich mich zwischendurch dabei, wie ich mir in dem ein oder anderen Moment kurz wünsche, dazuzugehören. Zu einer Gruppe dazu zu gehören, die den spirituellen Weg gemeinsam geht. Aber je länger ich die Menschen beobachte, desto ähnlicher erscheinen sie mir in Gestik und Mimik und wirken mir dann doch zu uniform. So, als hätten sie sich auf der Suche nach sich selbst in der Gruppe verloren.

Mir fällt eine Situation ein, in der ich etwas ähnliches empfunden habe. Eine Begegnung mit Thich Nhat Hanh, jenem vietnamesische Mönch, der sich besonders durch die Achtsamkeitsmeditation einen Namen gemacht. Er war wieder mal in München. Ich bin zu einem Pressegespräch um 10 Uhr vormittags im Münchner Presseclub eingeladen, wo Thich Nhat Hanh sich mit einer Delegation, einer Hand voll Mönchen aus seiner Sangha, Fragen und Antworten der Journalisten stellt. Da ich zeitlich etwas verspätet bin, komme ich gleichzeitig mit Thich Nhat Hanh am Marienplatz an. Während ich kurzatmig, wie scheinbar alle anderen Münchener über den Platz laufe, geht er und seine kleine Delegation in braunen Mönchsgewändern gehüllt, langsam und bewusst über den Marienplatz. Schritt für Schritt setzen sie achtsam einen Fuß vor den anderen und praktizieren wie überall achtsame Gehmeditation. Mir kommt diese kleine Gruppe in dem Moment vor wie ein Schar von Außerirdischen, die von einem anderen Stern gefallen ist. Und ich bin froh, dass ich nicht dazu gehöre, zu dieser Sangha, die mir in diesem Moment etwas weltfremd erscheint. Trotzdem bin ich in den folgenden zwei Stunden tief berührt von den Antworten des vietnamesischen Mönchs. Denn welche Frage auch immer man ihm stellt, er verweist immer wieder auf die Achtsamkeit des Atems. Aber gleichzeitig kommt mir die Gruppe um den Meister etwas devot vor: Wenn Thay lacht, lachen auch seine Schüler. Wenn Thay schweigt, dann schweigen auch seine Schüler.

Die Suche nach Gemeinschaft
Während ich spirituellen Gruppen also eher kritisch gegenüberstehe, gab es immer schon Menschen, die den spirituellen Weg lieber in einer Gruppe gegangen sind, und sich um einen sogenannten Erwachten oder einen spirituellen Meister gesammelt haben. Dass sich um besonders charismatische Menschen schnell Gruppen bilden, ist ein wohl menschliches Phänomen. So wurden zum Beispiel die ersten Menschen, denen Buddha nach seiner Erleuchtung begegnete, sofort zu seinen Schüler. Während er vor ihnen seine erste Lehrrede hielt, entstanden die drei Juwelen des spirituellen Weges im Buddhismus: Buddha (der Lehrer), Dharma (die Lehre) und die Sangha (die Gemeinschaft). Und seit diesem Tag wächst die buddhistische Gemeinschaft ununterbrochen und es werden immer mehr Menschen, die im Namen Buddhas in einer Sangha den spirituellen Weg gehen möchten. Auch in anderen Traditionen haben sich spirituelle Gemeinschaften gebildet, die nahezu einen archetypischen Charakter zu scheinen haben und der für den spirituellen Weg für viele Menschen lebensnotwendig sind. Dies beweist die Zahl der großen und kleinen spirituellen Gemeinschaften, die es seit vielen Jahrtausenden gibt. Auch antworteten 80% der Befragten im Rahmen einer stichprobenartigen Umfrage für diesen Artikels auf die Frage „Was halten Sie von spirituellen Gruppen?“ durchweg positiv. Hier einige Beispiele:

Daniela, 42 Jahre, Yogalehrerin: „Ich halte viel von spirituellen Gruppen, denn sie vermitteln zunächst mal einen äußeren Halt und ein Gefühl von Gemeinschaft. Außerdem wächst die Energie in einer Gruppe und wenn man z.B. meditiert bleibt man eher "bei der Stange".
Lisa, 56 Jahre, Heilpraktikerin: Von spirituellen Gruppen halte ich natürlich sehr viel, weil mir die Kombination aus Therapie und Spiritualität ideal erscheint. auf der einen Seite wurde der Weg zu meiner Seele begleitet. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, dem spirituellen zu vertrauen, oder anders gesagt Körperarbeit und Meditation, Encounter und Weg nach innen in die Stille, Anleitung und auf sich zurückgeworfensein.
Beate, 48 Jahre, Redaktionsassistentin: Ich finde spirituelle Gruppen sehr hilfreich, weil es mir den Weg der Spiritualität vereinfacht. Wenn Menschen sich in einer unterstützenden Absicht zusammentun, ist die Energie, die daraus erwächst, spürbar für alle. Denn Menschen erfahren sich mit ihrem Leid, ihrem Schicksal und ihren Ängsten in einer Gemeinschaft. Man sieht, dass wir alle "in einem Boot sitzen". Ebenso wirkt es befreiend, wenn viele Menschen sich miteinander freuen und Liebe von vielen Menschen spürbar ist.
Christian, 54 Jahre, Journalist: Ich bin 1980 Schüler von Bhagwan/Osho geworden und war bis zu seinem Tod ein begeisterter Anhänger. In den ersten Jahren hatte ich das Gefühl: ‚Wow! Ich bin Teil einer ganz einzigartigen Bewegung, einer Revolution des Bewusstseins!’ Da war auch eine tiefe und herzliche Verbindung zu den anderen Sannyasins. Das war damals ein tolles Abenteuer.

Aber es gab auch kritische Stimmen::

Klaus Peter, 55 Jahre, Pädagoge für Psychosomatische Gesundheitsbildung: In den vergangenen 35 Jahren habe ich verschiedene Gruppen kennen gelernt: TM, Sannyasins in Poona, Iyengar, Indien Ashrams, Sufigemeinschaften, Zen-Vereinigung, Tibetische Sangha, Satsang....Es ist notwendig, sich für eine gewisse Zeit auf die Erfahrung, Teil einer Gemeinschaft zu sein, voll einzulassen, denn als Außenstehender kann man nicht beurteilen, ob der hohe ideelle Anspruch tatsächlich authentisch gelebt wird, und ohne ins Herz der Dinge einzutauchen, wäre es auch nicht möglich, Neues zu lernen. Irgendwann braucht man jedoch wieder den Abstand, um sich selbst in einem etwas neutraleren Umfeld überprüfen zu können.
Ulrike Lektorin: Ich bin diesbezüglich ein wenig vorsichtig. Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn sich Gleichgesinnte für Austausch, Meditation etc. zusammenfinden. Dennoch besteht immer die Gefahr, dass sich eine Gruppe per Selbstdefinition auch ein "Gerüst", einen ideologischen Überbau zurechtlegt, der ohnehin entsteht, wenn sich mehrere "in seinem Namen" (Guru/Idee etc.) zusammenfindet. Fast automatisch wird also auch ein Programm geboten, dem mehr oder minder unmerklich gefolgt wird/werden muss.
R. Sriram: Eine spirituelle Gemeinde ist hilfreich, wenn wir schwach sind, uns zu fangen. Das Beisammensein mit anderen Menschen kann uns inspirieren und motivieren. Andererseits versetzt gerade die starke Gruppenenergie Menschen in eine „Rauschstimmung“ und täuscht hierbei einer psychisch labilen Person ein Gefühl der Stabilität vor. Damit kommt diese in Erfahrungen, mit denen sie nicht fertig werden kann – das kann ernsthafte Probleme auslösen. Yogaschriften, Hathayoga Pradipika und viele andere sprechen ausdrücklich dafür, die eigene spirituelle Entwicklung auf dem alleinigen Weg zu suchen. Das Ziel in Yoga, Freiheit von Ängsten und anderen tief liegenden Kräften in uns (Klesas) zu entwickeln, kann meines Erachtens nur realisiert werden, wenn man Meditation alleine übt. Spirituelle Gemeinden haben ihre Berechtigung darin, dass sie sozial wohltätige Zwecke verfolgen. Also, für „Spiritualität in Action“ sind Gemeinden sehr wichtig, keinesfalls für „Spiritualität in Meditation“, also für Karmayoga, ja, aber nicht für Jnanayoga. Der moderne Europäer schützt stolz seine äußere Individualität. Wer tief in die Meditation kommen will muss sich letztlich vom Gemeindezwang lösen und sich trauen zur Einsamkeit in der Meditation.

Einige Befragte sprachen sich auch gegen spirituelle Gruppen aus:

Klaus 43 Jahre, Unternehmensberater:Ich halte nichts von spirituellen Gruppen. Ich habe das Gefühl, dass sich hier oft Menschen zusammenschließen, die nicht wirklich volle Verantwortung für ihr eigenes Handeln und Denken übernehmen wollen. Sie fühlen sich eigentlich nur in der Gruppe wirklich stark und zitieren mit Vorliebe die „Wahrheiten“ ihres Meisters, statt selbst zu reflektieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Samarpan, Meditationslehrer: Ich mag keine spirituellen Gruppen (um ehrlich zu sein, mag ich überhaupt keine Gruppen). Gruppen sind soziale Organisationsformen, und Erwachen ist etwas, das ganz allein geschieht. Keine Gruppe ist jemals erwacht, und jede „spirituelle“ Gruppe, die ich kannte oder kenne, flippt total aus, wenn eines ihrer Mitglieder erwacht, anstatt ihr oder sein Erwachen zu feiern. Es ist, als sei die Mitgliedschaft in der Gruppe wichtiger als das angebliche Ziel, den Mitgliedern zu helfen, zu sich selbst nach Hause zu gelangen. Es ist ein trauriger Witz. Ich würde also sagen, suche dir keine Gruppe, sondern suche dir einen Meister (oder lasse das Leben einen für dich wählen). Wenn du bei einem Meister bist, dann mag es so aussehen, als seiest du ein Teil „ihrer oder seiner“ Organisation, oder auch nicht; aber in Wirklichkeit ist man mit dem Meister immer nur alleine zusammen. Es ist eine sehr geheimnisvolle und so nahe Beziehung, die wertvollste Beziehung, die das Leben uns schenken kann.
Wenn Gruppendynamik destruktiv wird
So positiv spirituelle Gemeinschaften auf der einen Seite sein können und einen Menschen in seinem persönlichen Wachstum fördern können, so problematisch kann die eine Entwicklung einer spirituellen Gruppe verlaufen. Dies zeigen auch immer wieder Bücher auf, die zu diesem Thema erscheinen. So beschreibt zum Beispiel Katharina Wulff-Bräutigam in ihrem gerade erschienen Buch „Bhagwan, Che und ich“ erschienen im Droemer Verlag, ihre Kindheit, Jugend und frühes Erwachsensein in den 70ern. Die Autorin, Jahrgang 65, erlebte durch ihre Eltern, die aktiv u.a. in der 68ger Bewegung waren, die vielen verschiedenen Zwänge, denen die Menschen als Teil der Gruppe ausgeliefert sind. So lebten ihre Eltern und deren Freunde zum Beispiel die sexuelle Freiheit der 68ger Bewegung mit aus, umgingen dabei aber vollkommene ihre Gefühle der Eifersucht und ihr Bedürfnis, mit einem Menschen, nämlich den, den sie liebten, in einer monogamen Beziehung zusammenzuleben. Ein solches, auf einen Menschen bezogenes Verhältnis galt damals nämlich als außerordentlich spießig.

Um dazuzugehören, übergingen – und übergehen – Menschen, die solchen Gruppierungen angehören, oft ihre eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Wünschen. Oder aber sie besaßen – und besitzen - nicht die innere Stärke, sich gegen die Strömung einer Gruppe zu wehren, bzw. den eigenen Bedürfnissen gegenüber achtsam zu sein und diese zu respektieren, statt sie als Fehler anzusehen, nur weil die tendenzielle Strömung in einer Gruppe eine andere ist. So beschrieb Ursula, eine Frau, die zu Oshos Lebzeiten in Poona war, ihren dreimonatigen Aufenthalt in dem Ashram als eine große Qual: „Ich war eine sehr schüchterne junge Frau, als ich den Ashram ging. Ich erhoffte mir, dort freier zu werden. Aber während die anderen sexuell sehr freizügig miteinander umgingen, fühlte ich mich von Tag zu Tag elender in dieser Umgebung und litt fürchterlicher unter meiner Schüchternheit. Ich wollte gerne dazugehören und mich ebenfalls frei entwickeln, tat mich aber hier sehr schwer. Dass andere Menschen in meiner unmittelbaren Gegenwart miteinander schliefen, war für meinen Typ nicht gerade förderlich. Letztendlich war ich froh, als ich wieder nach Hause zurückkehrte. Es dauerte aber auch eine Zeit, bis ich die Erfahrungen dort verarbeitet hatte, weil ich das Gefühl hatte, dass mit mir etwas nicht stimmt, anstatt mich in meiner Schüchternheit anzunehmen.“ Andere Menschen, die mehr Selbstbewusstsein besitzen als Ursula, konnten mit Situationen, in denen sie sich unwohl fühlten, besser umgehen und sich gegen etwas wehren, was ihren eigenen inneren Bedürfnissen entsprach, anstatt das gesamte Verhalten der Gruppe unreflektiert zu schlucken. So antwortete Christian S. im Rahmen der Befragung auf die Frage, ob es auch Negativbeispiele für spirituelle Gruppen gibt: „Natürlich, im Rahmen der Sannyasinbewegung um Osho gab es einige, die Macht über andere ausüben wollten. Ich selbst habe mich nicht demütigen lassen, bin einfach weggegangen, wenn ich mich zum Beispiel in einem der Zentren nicht mehr wohl fühlte. Aber einige Szenen von Gruppenmeetings, wo Menschen heruntergemacht wurden, sind mir schon ziemlich unangenehm in Erinnerung. An Sheela Silverman, Oshos „Generalbevollmächtigten“ schrieb ich 1985 einen Brief, worin ich ihre aggressiven Formulierungen kritisierte.“

Vom Licht zum Schatten
Wie destruktiv sich anfänglich positive und konstruktive Gruppendynamik in spirituellen Gruppen wandeln kann, beschreibt auch Andree van de Braak in seinem Buch „Liegestütz zur Erleuchtung“. (Siehe dazu auch Yoga aktuell Nr. 29). Van de Braak war 11 Jahre lang Schüler des Amerikaners Andrew Cohen. In seinem Buch beschreibt er, wie Cohen seine Schüler anfangs besonders durch die Idee einer spirituellen Revolution faszinierte. Diese bestand darin, dass man nicht jahrelang meditieren muss, um erleuchtet zu werden, sondern dass man hier und jetzt erleuchtet werden kann, wenn man sich nur der Sehnsucht nach der Erleuchtung hingibt und bereit ist, alles dafür zu geben. Auf dieser These aufbauend wollte Cohen mit seiner großen Schülerschaft das spirituelle Establishment umkrempeln, weil sie der Meinung waren, dass alle anderen spirituellen Schulen den Bezug zur wirklichen Leidenschaft für die Erleuchtung verloren hatten. Während die spirituelle Gruppe, die sich um Cohen gesammelt hatte, anfangs im positiven Sinne von seiner Ideologie genährt wurde, änderte sich die Stimmung im Laufe der Jahre zunehmend. So berichtet van der Braak: „Andrew begann immer mehr darüber zu reden, dass wir „das Ego töten müssten“. Der Fokus ging immer mehr darauf, unser Verhalten zu ändern, uns zu reinigen und Erleuchtung im Leben auszudrücken.“ Damit einhergehend entwickelte sich eine äußerst destruktive Gruppendynamik, bei der sich die Mitglieder untereinander mehr und mehr – unter dem Deckmäntelchen der Egozerstörung - auf der psychischen Ebene zerfleischten: „Später hatten wir immer häufiger Treffen, in denen wir uns gegenseitig angingen, uns gegenseitig anschrieen, nur um unser Ego zu zerstören.

Während es dem Holländer van de Braak gelang, sich aus der Gruppe um Cohen zu lösen, gibt es aber auch einige spirituelle Gruppen, bei denen es katastrophalen Entwicklungen kam. So kam es im Jahre 1978 in Jonestown, Guyana, unter der Führung von Jim Jones zu einem Massenselbstmord seiner spirituellen Gemeinde, des Volkstempels. Während Jones in den Anfängen eine außerordentlich positive charismatische Ausstrahlung besessen haben muss, und sein Verhalten von altruistischer Qualität geprägt war, rückte sein Verhalten im Verlaufe der Zeit als abschreckendes Beispiel für spirituelle Tyrannei in den Vordergrund der Medien. Im Laufe der Zeit kapselte sich die Gruppe um Jones immer mehr von den sozialen, emotionalen und materiellen Ressourcen außerhalb der Gruppe ab, so dass sie sich schließlich im fast unerträglich heißen Klima des Dschungels von Guyana wiederfanden. Die Gruppe wieder zu verlassen, schien den meisten Mitgliedern unmöglich, da Jones ihnen damit drohte, dass sie ihm nicht entkommen könnten, egal wohin sie fliehen würden, da er über Beziehungen zur Mafia und zum CIA verfügen würde. So gingen insgesamt 923 Anhänger von Jim Jones mit ihm mehr oder weniger freiwillig in den Tod.

Die Auswahl einer Gruppe
Das Problem, eine spirituelle Gruppe zu finden, die zum einen den eigenen Wünschen entspricht und zum anderen über die Jahre gesund bleibt, scheint nicht immer einfach zu sein. Denn einige der oben aufgeführten Beispiele zeigen, kann sich aus einer anfänglich positiv ausgerichteten Gruppe im Laufe der Zeit eine Institution ergeben, die dem Einzelnen die eigene Entscheidungsfreiheit nimmt und das Leben in der Gemeinschaft eher zu einer Qual wird, statt das persönliche und spirituelle Wachstum zu fördern. Aus diesem Grund sollte man – wie bei allem – auch eine spirituelle Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, von Zeit zu Zeit mit etwas Abstand betrachten. Zum einen führt dieser Abstand dazu, dass man sich immer wieder eine eigene Meinung bildet und zum anderen überprüfen kann, ob sich die Gruppendynamik verändert und sich die anfänglich positive Aussichtung gegebenenfalls in eine negative Richtung verändert, dogmatisch wird und sich mehr und mehr von der Außenwelt abkapselt.

Darüber hinaus ist es aber auch sicherlich sinnvoll, sich im Vorfeld über die persönliche Motivation bewusst zu sein, warum man einer spirituell ausgerichteten Gruppe anschließt. Der Wunsch, sich einer spirituellen Gruppe anzuschließen, kann aus dem tiefen Wunsch entstehen, Teil von einem Größeren zu sein, als man selbst ist. Dieser Aspekt ist gerade auf der Ebene der Selbstverwirklichung wichtig. Es ist jene Stufe, auf welcher für den Menschen die Entwicklung seines eigenen höheren Potentials zur wichtigsten Priorität wird. In einem solchen Fall wird eine spirituelle Gruppe für den Suchenden von großem Nutzen sein und er selbst wird aus sich heraus entscheiden können, wann dieses Ziel innerhalb der Gruppe erreicht ist und wann es für ihn wieder an der Zeit ist, die Gruppe zu verlassen und den spirituellen Weg alleine weiter zu gehen. Es gibt auch Menschen, die das allgemeine Leid der Menschen lindern möchten und aus diesem Grund einer spirituellen Gruppe beitreten, die sich zum Ziel gesetzt haben, zum Wohl aller Wesen zu leben. Andere Menschen möchten durch die Mitgliedschaft in einer Gruppe ihr eigens Potential verwirklichen und auf dem Pfad der spirituellen Entwicklung fortschreiten. Wieder andere sehnen sich danach, auf dem Pfad der spirituellen Entwicklung wirklich in der Tiefe fortzuschreiten, um erleuchtet zu werden, und haben das Gefühl, diese nur unter der Leitung eines spirituellen Lehrers in einer Gruppe zu können. Denn nach Aussagen vieler spirituellen Meister ist der Geist des Menschen viel zu komplex, und das eigene Bewusstsein so vielen Illusionen ausgesetzt, dass es wohl sehr, sehr wenige Menschen gibt, die den spirituellen Weg alleine bis zu Ende gehen können.

Ist die Motivation der Selbstverwirklichung, der Erleuchtung allerdings sekundär, was dem Suchenden vielleicht nicht selbst bewusst ist, kann der Grund für den Beitritt einer spirituellen Gruppe anders gelagert sein. In einem solchen Fall ist die Gefahr einer Gruppe beizutreten, die nicht wirklich in der Lage ist, Transzendenz zu vermitteln ist, gegeben. Hier wird das Augenmerk des Suchenden wahrscheinlich unbewusst eher darauf liegen, ob die Gruppe die eigenen emotionalen Bedürfnisse, die zum Beitritt geführt hat, nähren wird. So kann es einem Menschen zum Beispiel schwer fallen, eigenverantwortlich zu leben und für sich selbst zu sorgen. Es kann aber auch sein, dass sich ein Mensch einsam und isoliert fühlt und ihm das Zugehörigkeitsgefühl in einer spirituellen Gruppe ihn nährt. Ein Mensch kann aber auch unbewusst nach einem Vater- oder Mutterersatz Ausschau halten, um die beängstigenden Unsicherheiten der menschlichen Existenz besser ertragen zu können. Vielleicht ist es aber auch primär die persönliche Ausstrahlung des Gurus oder der Leitfigur, die einen Menschen zu einer Gruppe zieht.

Warum und wie lange ein Mensch in einer spirituellen Gruppe bleibt, ist wie viele andere Entscheidungen im Leben letztendlich von subjektiven Faktoren und Bedürfnissen abhängig. Selbst wenn es sachliche Kriterien für die Integrität und Solidität einer spirituellen Gruppe gibt, so scheint die Wahl einer Gruppe wohl eher dem Prozess des Sich-Verliebens zu ähneln, oder mit dem persönlichen Karma zu tun haben, statt sich auf sachliche Fakten zu begründen. Denn die wenigsten Menschen gehen in einem Moment, in dem sie sich verlieben, genauso nüchtern und sachlich vor wie bei der Auswahl ihres Autos. Somit scheint der Grund, warum ein Mensch in einer bestimmten spirituell ausgerichteten Gruppe landet, multifaktoriell und scheinbar nicht nur über den Verstand steuerbar. So lautet auch eine Antwort auf die Frage: Worauf sollte man Ihrer Meinung nach bei der Auswahl einer Gruppe achten? folgendermaßen:

Klaus Peter 55 Jahre, Pädagoge für Psychosomatische Gesundheitsbildung: Zunächst einmal bezweifle ich, dass das Wissen um die Kriterien der rechten Wahl einer spirituellen Gruppe einen großen Einfluss auf die Auswahl hat, denn die gestaltenden Grundkräfte (Gunas) der Natur (Prakriti) haben in gewisser Weise die Wahl schon entschieden: Die Natur, die überwiegend unter dem Tamas-Einfluss steht, folgt dem blinden Drang und wählt instinktiv, was ihrer Natur entspricht. Die von Rajas beeinflusste Natur hat scheinbar etwas mehr Auswahlmöglichkeiten, wird aber auch von ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten bestimmt. Wer überwiegend von Sattva geprägt ist, wird vom Lichten angezogen und geht höchstwahrscheinlich sowieso schon intuitiv den richtigen Weg.“

Natürlich ist es wünschenswert, dass ein Mensch sich nicht nur von dem Gefühl der Faszination bei der Auswahl einer Gruppe leiten lässt, sondern auch den gesunden Menschenverstand mit einschaltet, um in Nachhinein böse Überraschungen zu vermeiden. Und somit ist es manchmal ganz hilfreich, wenn man im Vorfeld für sich bestimmte Kriterien festlegt, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen. So scheinen für jeden Menschen die Auswahlkriterien ganz unterschiedlich zu sein, wie die folgenden Antworten auf die Frage zeigen:

Beate 48 Jahre, Redaktionsassistentin: Bei der Auswahl einer Gruppe sollte man darauf achten, dass die Menschen, die dort zusammenkommen, humorvoll sind, tolerant und sich voll ins Leben integrieren. Und dass sie die ABSICHT haben, miteinander zu wachsen und sich zu unterstützen. Dass der Lehrer ein Mensch ist, dessen Ziel es ist, seinen Trainees zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu verhelfen. Das entsprechende Handwerkszeug sollte er ihnen klar und einfach vermitteln. Dass das Preis-Leistungsverhältnis sich in einem gesunden Rahmen befindet.
Dieter 30 Jahre, Psychologe: Mir scheint es bei der Auswahl einer spirituellen Gruppe besonders wichtig zu sein, dass kein Personenkult um den Leiter betrieben wird, sondern dass das Ziel, der spirituelle Wachstum des einzelnen im Vordergrund steht. Darüber hinaus sollten die Mitglieder der Gruppe auch Kontakt zu Außenwelt haben und hier auch Freunde und Ansprechpartner haben, damit man immer auch Kontakt zum Alltag behält und der Austausch mit Menschen außerhalb der Gruppe gewährleistet wird.

Ob und wie lange man den spirituellen Weg nun alleine oder in der Gruppe gehen sollte, bleibt scheinbar eine Frage, die sich nur jeder Mensch selbst den eigenen Bedürfnissen entsprechend beantworten kann. Genauso wird es immer wieder Fürsprecher und Gegner geben, was den Alleingang auf dem spirituellen Weg betrifft und so gab es im Rahmen der Befragung auch hier Für- und Widersprecher auf die Frage: Kann man den spirituellen Weg überhaupt ohne eine spirituelle Gruppe gehen?

Rudiger 64 Jahre, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik, Psychoanalyse in eigener Praxis: Zeitweilig sicherlich, manchmal ist es sogar nötig. Der Mensch ist jedoch ein Gemeinschaftswesen. Alles Geschenkte, Empfangene, Gefundene will mit Mitmenschen geteilt werden. Wahre Menschlichkeit hat eine Anziehungskraft, und so bilden sich ganz natürlich Weg- und Lebensgemeinschaften.
Ulrike, Lektorin:JAAAAA; auf jeden Fall!!! Und ich bin der Überzeugung, sogar viel tiefgreifender, weiter und authentischer! Eine Gruppe kann/sollte eine ganz nette oder auch wichtige Reisebekanntschaft sein - aber nicht mehr. Warum sollten wir uns in ein Kästchen zwängen, wenn wir Teil des Universums sind?

Und so bleibt letztendlich nur zu hoffen, dass jeder Mensch für sich selbst die richtige Entscheidung fällt, ob der den spirituellen Weg lieber in einer Gruppe gehen mag oder ob er dass Gefühl hat, dass er der Erleuchtung alleine näher kommt. Und es bleibt zu wünschen, dass jeder Mensch für sich eine gesunde Mischung aus Intuition und Verstand entwickeln kann, um nicht irgendwann im Verlaufe der Zeit ein böses Erwachen zu erleben, wenn er sich die spirituelle Gruppe, in der er vielleicht einige Jahre seines Lebens verbracht hat, mit etwas Abstand betrachten. So, wie es manchmal der Fall ist, wenn wir verliebt waren und irgendwann feststellen, dass der Mensch, in den wir uns verliebt hatten, überhaupt nicht zu uns und unseren Bedürfnissen passt und wir uns dann kopfschütteln denken: Hätte ich doch nur genauer hingeschaut......“

Ó Doris Iding 2005

Literaturempfehlungen:
Katharina Wulff-Bräutigma: Bhagwan, Che und Ich. Meine Kindheit in den 70ern. Droemer Verlag, 2005
Ken Wilber: Meister, Gurus, Menschenfänger. Über die Integrität spiritueller Wege. Spirit Fischer, 1998
Christian Salvesen: Advaita. Vom Glück, mit sich und der Welt eins zu sein. Philosophie und Praxis einer universalen spirituellen Lehre. O.W. Barth Verlag, 2003
Doris Iding: Rituale fürs Alleinsein. Wege zur inneren Freiheit. Krummwisch bei Kiel, 2003
Ursula Wagner: Die Kunst des Alleinseins. Theseus Verlag, 2005
Bruno Martin: Das Lexikon der Spiritualität. Lehren, Meister, Traditionen. Atmosphären Verlag, 2005.
Liz Greene: Die mythische Reise. Die Bedeutung der Mythen als ein Führer durchs Leben. Atmosphären Verlag, 2004.
Georg Feuerstein: Heilige Narren. Über die Weisheit ungewöhnlicher Lehrer. Krüger Verlag 1991. Zu beziehen über www.yogi-shop.com


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