Die Suche nach spirituellem Wachstum, die einen Menschen weiterbringt, ist so alt wie die Menschheit selbst. Der eine geht diesen Weg lieber alleine, der andere hat nur in einer spirituellen Gruppe das Gefühl, wachsen zu können. Gründe für und gegen den Eintritt in eine spirituelle Gruppe gibt es genügend, wie eine Umfrage zeigt, die im Rahmen dieses Artikels durchgeführt wurde. Also kann das ob und wie lange ein Mensch sich anderen anschließt, nur kann nur jeder für sich entscheiden. Zu wünschen ist ihm bei dieser Entscheidung jedem eine gesunde Mischung aus Herz und Verstand, um immer wieder zu überprüfen, ob man sich selbst auf dem gemeinsamen Weg zur Erleuchtung verloren hat und nur noch eine Kopie der Gruppeideologie geworden ist.
Das Flair im Münchner Olympiastadium hat im Oktober immer wieder etwas indisches: Der Duft von Räucherstäbchen empfängt mich bereits an der Eingangstüre und die Kleidung vieler, die mir hier begegnen, ist weiß. Amma ist wieder in der Stadt. Und so wie viele andere zieht es auch mich immer wieder zu der kleinen, rundlichen, ganz in weiß gekleideten Heiligen, die durch ihre Umarmungen schon so vielen Hilfesuchenden tröstenden Schutz und Heil gebracht hat. Aber es ist nicht nur Amma selbst, die mir in diesen Tag ein warmes Gefühl vermittelt, sondern es sind auch die vielen Menschen, die zu ihr ins Münchner Olympiastadium kommen. Auch wenn ich wie andere Besucher nicht zu Ammas Schülern zähle, so fühle ich mich in den Stunden, in denen ich den Worten der Südinderin lausche und ihre Segen spendende Umarmung genieße, irgendwie wie zu Hause. Und während ich dasitze und sehe, wie viele der Besucher sich scheinbar gut kennen, ertappe ich mich zwischendurch dabei, wie ich mir in dem ein oder anderen Moment kurz wünsche, dazuzugehören. Zu einer Gruppe dazu zu gehören, die den spirituellen Weg gemeinsam geht. Aber je länger ich die Menschen beobachte, desto ähnlicher erscheinen sie mir in Gestik und Mimik und wirken mir dann doch zu uniform. So, als hätten sie sich auf der Suche nach sich selbst in der Gruppe verloren.
Mir fällt eine Situation ein, in der ich etwas ähnliches empfunden habe. Eine Begegnung mit Thich Nhat Hanh, jenem vietnamesische Mönch, der sich besonders durch die
Achtsamkeitsmeditation einen Namen gemacht. Er war wieder mal in München. Ich bin zu einem
Pressegespräch um 10 Uhr vormittags im Münchner Presseclub eingeladen, wo Thich
Nhat Hanh sich mit einer Delegation, einer Hand voll Mönchen aus seiner Sangha,
Fragen und Antworten der Journalisten stellt. Da ich zeitlich etwas verspätet
bin, komme ich gleichzeitig mit Thich Nhat Hanh am Marienplatz an. Während ich
kurzatmig, wie scheinbar alle anderen Münchener über den Platz laufe, geht er
und seine kleine Delegation in braunen Mönchsgewändern gehüllt, langsam und
bewusst über den Marienplatz. Schritt für Schritt setzen sie achtsam einen Fuß
vor den anderen und praktizieren wie überall achtsame Gehmeditation. Mir kommt
diese kleine Gruppe in dem Moment vor wie ein Schar von Außerirdischen, die von
einem anderen Stern gefallen ist. Und ich bin froh, dass ich nicht dazu gehöre,
zu dieser Sangha, die mir in diesem Moment etwas weltfremd erscheint. Trotzdem
bin ich in den folgenden zwei Stunden tief berührt von den Antworten des
vietnamesischen Mönchs. Denn welche Frage auch immer man ihm stellt, er
verweist immer wieder auf die Achtsamkeit des Atems. Aber gleichzeitig kommt
mir die Gruppe um den Meister etwas devot vor: Wenn Thay lacht, lachen auch
seine Schüler. Wenn Thay schweigt, dann schweigen auch seine Schüler.
Die Suche nach
Gemeinschaft
Während ich spirituellen
Gruppen also eher kritisch gegenüberstehe, gab es immer schon Menschen, die den
spirituellen Weg lieber in einer Gruppe gegangen sind, und sich um einen
sogenannten Erwachten oder einen spirituellen Meister gesammelt haben. Dass
sich um besonders charismatische Menschen schnell Gruppen bilden, ist ein wohl
menschliches Phänomen. So wurden zum Beispiel die ersten Menschen, denen Buddha
nach seiner Erleuchtung begegnete, sofort zu seinen Schüler. Während er vor
ihnen seine erste Lehrrede hielt, entstanden die drei Juwelen des spirituellen
Weges im Buddhismus: Buddha (der Lehrer), Dharma (die Lehre) und die Sangha
(die Gemeinschaft). Und seit diesem Tag wächst die buddhistische Gemeinschaft
ununterbrochen und es werden immer mehr Menschen, die im Namen Buddhas in einer
Sangha den spirituellen Weg gehen möchten. Auch in anderen Traditionen haben
sich spirituelle Gemeinschaften gebildet, die nahezu einen archetypischen
Charakter zu scheinen haben und der für den spirituellen Weg für viele Menschen
lebensnotwendig sind. Dies beweist die Zahl der großen und kleinen spirituellen
Gemeinschaften, die es seit vielen Jahrtausenden gibt. Auch antworteten 80% der
Befragten im Rahmen einer stichprobenartigen Umfrage für diesen Artikels auf
die Frage „Was halten Sie von spirituellen Gruppen?“ durchweg positiv. Hier
einige Beispiele:
Daniela, 42 Jahre,
Yogalehrerin: „Ich halte viel von spirituellen Gruppen, denn sie vermitteln
zunächst mal einen äußeren Halt und ein Gefühl von Gemeinschaft. Außerdem
wächst die Energie in einer Gruppe und wenn man z.B. meditiert bleibt man eher
"bei der Stange".
Lisa, 56 Jahre, Heilpraktikerin: Von spirituellen Gruppen halte ich natürlich sehr viel, weil mir die Kombination aus Therapie und Spiritualität ideal erscheint. auf der einen Seite wurde der Weg zu meiner Seele begleitet. Auf der anderen Seite habe ich gelernt, dem spirituellen zu vertrauen, oder anders gesagt Körperarbeit und Meditation, Encounter und Weg nach innen in die Stille, Anleitung und auf sich zurückgeworfensein.
Beate, 48 Jahre,
Redaktionsassistentin: Ich finde spirituelle Gruppen sehr hilfreich, weil
es mir den Weg der Spiritualität vereinfacht. Wenn Menschen sich in einer
unterstützenden Absicht zusammentun, ist die Energie, die daraus erwächst,
spürbar für alle. Denn Menschen erfahren sich mit ihrem Leid, ihrem Schicksal
und ihren Ängsten in einer Gemeinschaft. Man sieht, dass wir alle "in
einem Boot sitzen". Ebenso wirkt es befreiend, wenn viele Menschen sich miteinander
freuen und Liebe von vielen Menschen spürbar ist.
Christian, 54 Jahre, Journalist: Ich bin 1980 Schüler von Bhagwan/Osho geworden und war bis zu seinem Tod ein begeisterter Anhänger. In den ersten Jahren hatte ich das Gefühl: ‚Wow! Ich bin Teil einer ganz einzigartigen Bewegung, einer Revolution des Bewusstseins!’ Da war auch eine tiefe und herzliche Verbindung zu den anderen Sannyasins. Das war damals ein tolles Abenteuer.
Aber es gab auch kritische
Stimmen::
Klaus Peter, 55 Jahre, Pädagoge für Psychosomatische Gesundheitsbildung: In den vergangenen 35 Jahren habe ich verschiedene Gruppen kennen gelernt: TM, Sannyasins in Poona, Iyengar, Indien Ashrams, Sufigemeinschaften, Zen-Vereinigung, Tibetische Sangha, Satsang....Es ist notwendig, sich für eine gewisse Zeit auf die Erfahrung, Teil einer Gemeinschaft zu sein, voll einzulassen, denn als Außenstehender kann man nicht beurteilen, ob der hohe ideelle Anspruch tatsächlich authentisch gelebt wird, und ohne ins Herz der Dinge einzutauchen, wäre es auch nicht möglich, Neues zu lernen. Irgendwann braucht man jedoch wieder den Abstand, um sich selbst in einem etwas neutraleren Umfeld überprüfen zu können.
Ulrike Lektorin: Ich
bin diesbezüglich ein wenig vorsichtig. Grundsätzlich ist es begrüßenswert,
wenn sich Gleichgesinnte für Austausch, Meditation etc. zusammenfinden. Dennoch
besteht immer die Gefahr, dass sich eine Gruppe per Selbstdefinition auch ein
"Gerüst", einen ideologischen Überbau zurechtlegt, der ohnehin
entsteht, wenn sich mehrere "in seinem Namen" (Guru/Idee etc.)
zusammenfindet. Fast automatisch wird also auch ein Programm geboten, dem mehr
oder minder unmerklich gefolgt wird/werden muss.
R. Sriram: Eine spirituelle Gemeinde ist hilfreich, wenn wir schwach sind, uns zu fangen. Das Beisammensein mit anderen Menschen kann uns inspirieren und motivieren. Andererseits versetzt gerade die starke Gruppenenergie Menschen in eine „Rauschstimmung“ und täuscht hierbei einer psychisch labilen Person ein Gefühl der Stabilität vor. Damit kommt diese in Erfahrungen, mit denen sie nicht fertig werden kann – das kann ernsthafte Probleme auslösen. Yogaschriften, Hathayoga Pradipika und viele andere sprechen ausdrücklich dafür, die eigene spirituelle Entwicklung auf dem alleinigen Weg zu suchen. Das Ziel in Yoga, Freiheit von Ängsten und anderen tief liegenden Kräften in uns (Klesas) zu entwickeln, kann meines Erachtens nur realisiert werden, wenn man Meditation alleine übt. Spirituelle Gemeinden haben ihre Berechtigung darin, dass sie sozial wohltätige Zwecke verfolgen. Also, für „Spiritualität in Action“ sind Gemeinden sehr wichtig, keinesfalls für „Spiritualität in Meditation“, also für Karmayoga, ja, aber nicht für Jnanayoga. Der moderne Europäer schützt stolz seine äußere Individualität. Wer tief in die Meditation kommen will muss sich letztlich vom Gemeindezwang lösen und sich trauen zur Einsamkeit in der Meditation.
Klaus 43 Jahre, Unternehmensberater:Ich halte nichts von spirituellen Gruppen. Ich habe das Gefühl, dass sich hier oft Menschen zusammenschließen, die nicht wirklich volle Verantwortung für ihr eigenes Handeln und Denken übernehmen wollen. Sie fühlen sich eigentlich nur in der Gruppe wirklich stark und zitieren mit Vorliebe die „Wahrheiten“ ihres Meisters, statt selbst zu reflektieren und sich eine eigene Meinung zu bilden.
Samarpan, Meditationslehrer: Ich mag keine spirituellen Gruppen (um ehrlich zu sein, mag ich überhaupt keine Gruppen). Gruppen sind soziale Organisationsformen, und Erwachen ist etwas, das ganz allein geschieht. Keine Gruppe ist jemals erwacht, und jede „spirituelle“ Gruppe, die ich kannte oder kenne, flippt total aus, wenn eines ihrer Mitglieder erwacht, anstatt ihr oder sein Erwachen zu feiern. Es ist, als sei die Mitgliedschaft in der Gruppe wichtiger als das angebliche Ziel, den Mitgliedern zu helfen, zu sich selbst nach Hause zu gelangen. Es ist ein trauriger Witz. Ich würde also sagen, suche dir keine Gruppe, sondern suche dir einen Meister (oder lasse das Leben einen für dich wählen). Wenn du bei einem Meister bist, dann mag es so aussehen, als seiest du ein Teil „ihrer oder seiner“ Organisation, oder auch nicht; aber in Wirklichkeit ist man mit dem Meister immer nur alleine zusammen. Es ist eine sehr geheimnisvolle und so nahe Beziehung, die wertvollste Beziehung, die das Leben uns schenken kann.
Wenn Gruppendynamik destruktiv wird
So positiv spirituelle
Gemeinschaften auf der einen Seite sein können und einen Menschen in seinem
persönlichen Wachstum fördern können, so problematisch kann die eine
Entwicklung einer spirituellen Gruppe verlaufen. Dies zeigen auch immer wieder
Bücher auf, die zu diesem Thema erscheinen. So beschreibt zum Beispiel
Katharina Wulff-Bräutigam in ihrem gerade erschienen Buch „Bhagwan, Che und
ich“ erschienen im Droemer Verlag, ihre Kindheit, Jugend und frühes
Erwachsensein in den 70ern. Die Autorin, Jahrgang 65, erlebte durch ihre
Eltern, die aktiv u.a. in der 68ger Bewegung waren, die vielen verschiedenen
Zwänge, denen die Menschen als Teil der Gruppe ausgeliefert sind. So lebten
ihre Eltern und deren Freunde zum Beispiel die sexuelle Freiheit der 68ger
Bewegung mit aus, umgingen dabei aber vollkommene ihre Gefühle der Eifersucht
und ihr Bedürfnis, mit einem Menschen, nämlich den, den sie liebten, in einer
monogamen Beziehung zusammenzuleben. Ein solches, auf einen Menschen bezogenes
Verhältnis galt damals nämlich als außerordentlich spießig.
Um dazuzugehören, übergingen
– und übergehen – Menschen, die solchen Gruppierungen angehören, oft ihre
eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Wünschen. Oder aber sie besaßen – und besitzen
- nicht die innere Stärke, sich gegen die Strömung einer Gruppe zu wehren, bzw.
den eigenen Bedürfnissen gegenüber achtsam zu sein und diese zu respektieren,
statt sie als Fehler anzusehen, nur weil die tendenzielle Strömung in einer
Gruppe eine andere ist. So beschrieb Ursula, eine Frau, die zu Oshos Lebzeiten
in Poona war, ihren dreimonatigen Aufenthalt in dem Ashram als eine große Qual:
„Ich war eine sehr schüchterne junge Frau, als ich den Ashram ging. Ich
erhoffte mir, dort freier zu werden. Aber während die anderen sexuell sehr
freizügig miteinander umgingen, fühlte ich mich von Tag zu Tag elender in
dieser Umgebung und litt fürchterlicher unter meiner Schüchternheit. Ich wollte
gerne dazugehören und mich ebenfalls frei entwickeln, tat mich aber hier sehr
schwer. Dass andere Menschen in meiner unmittelbaren Gegenwart miteinander
schliefen, war für meinen Typ nicht gerade förderlich. Letztendlich war ich froh,
als ich wieder nach Hause zurückkehrte. Es dauerte aber auch eine Zeit, bis ich
die Erfahrungen dort verarbeitet hatte, weil ich das Gefühl hatte, dass mit mir
etwas nicht stimmt, anstatt mich in meiner Schüchternheit anzunehmen.“ Andere
Menschen, die mehr Selbstbewusstsein besitzen als Ursula, konnten mit
Situationen, in denen sie sich unwohl fühlten, besser umgehen und sich gegen
etwas wehren, was ihren eigenen inneren Bedürfnissen entsprach, anstatt das
gesamte Verhalten der Gruppe unreflektiert zu schlucken. So antwortete
Christian S. im Rahmen der Befragung auf die Frage, ob es auch Negativbeispiele
für spirituelle Gruppen gibt: „Natürlich, im Rahmen der Sannyasinbewegung um
Osho gab es einige, die Macht über andere ausüben wollten. Ich selbst habe mich
nicht demütigen lassen, bin einfach weggegangen, wenn ich mich zum Beispiel in
einem der Zentren nicht mehr wohl fühlte. Aber einige Szenen von
Gruppenmeetings, wo Menschen heruntergemacht wurden, sind mir schon ziemlich
unangenehm in Erinnerung. An Sheela Silverman, Oshos „Generalbevollmächtigten“
schrieb ich 1985 einen Brief, worin ich ihre aggressiven Formulierungen
kritisierte.“
Vom Licht zum Schatten
Wie destruktiv sich
anfänglich positive und konstruktive Gruppendynamik in spirituellen Gruppen
wandeln kann, beschreibt auch Andree van de Braak in seinem Buch „Liegestütz
zur Erleuchtung“. (Siehe dazu auch Yoga aktuell Nr. 29). Van de Braak war 11
Jahre lang Schüler des Amerikaners Andrew Cohen. In seinem Buch beschreibt er,
wie Cohen seine Schüler anfangs besonders durch die Idee einer spirituellen
Revolution faszinierte. Diese bestand darin, dass man nicht jahrelang
meditieren muss, um erleuchtet zu werden, sondern dass man hier und jetzt
erleuchtet werden kann, wenn man sich nur der Sehnsucht nach der Erleuchtung
hingibt und bereit ist, alles dafür zu geben. Auf dieser These aufbauend wollte
Cohen mit seiner großen Schülerschaft das spirituelle Establishment umkrempeln,
weil sie der Meinung waren, dass alle anderen spirituellen Schulen den Bezug
zur wirklichen Leidenschaft für die Erleuchtung verloren hatten. Während die
spirituelle Gruppe, die sich um Cohen gesammelt hatte, anfangs im positiven
Sinne von seiner Ideologie genährt wurde, änderte sich die Stimmung im Laufe
der Jahre zunehmend. So berichtet van der Braak: „Andrew begann immer mehr
darüber zu reden, dass wir „das Ego töten müssten“. Der Fokus ging immer mehr
darauf, unser Verhalten zu ändern, uns zu reinigen und Erleuchtung im Leben
auszudrücken.“ Damit einhergehend entwickelte sich eine äußerst destruktive
Gruppendynamik, bei der sich die Mitglieder untereinander mehr und mehr – unter
dem Deckmäntelchen der Egozerstörung - auf der psychischen Ebene zerfleischten:
„Später hatten wir immer häufiger Treffen, in denen wir uns gegenseitig angingen,
uns gegenseitig anschrieen, nur um unser Ego zu zerstören.
Während es dem Holländer van
de Braak gelang, sich aus der Gruppe um Cohen zu lösen, gibt es aber auch
einige spirituelle Gruppen, bei denen es katastrophalen Entwicklungen kam. So
kam es im Jahre 1978 in Jonestown, Guyana, unter der Führung von Jim Jones zu
einem Massenselbstmord seiner spirituellen Gemeinde, des Volkstempels. Während
Jones in den Anfängen eine außerordentlich positive charismatische Ausstrahlung
besessen haben muss, und sein Verhalten von altruistischer Qualität geprägt
war, rückte sein Verhalten im Verlaufe der Zeit als abschreckendes Beispiel für
spirituelle Tyrannei in den Vordergrund der Medien. Im Laufe der Zeit kapselte
sich die Gruppe um Jones immer mehr von den sozialen, emotionalen und
materiellen Ressourcen außerhalb der Gruppe ab, so dass sie sich schließlich im
fast unerträglich heißen Klima des Dschungels von Guyana wiederfanden. Die
Gruppe wieder zu verlassen, schien den meisten Mitgliedern unmöglich, da Jones
ihnen damit drohte, dass sie ihm nicht entkommen könnten, egal wohin sie
fliehen würden, da er über Beziehungen zur Mafia und zum CIA verfügen würde. So
gingen insgesamt 923 Anhänger von Jim Jones mit ihm mehr oder weniger
freiwillig in den Tod.
Die Auswahl einer Gruppe
Das Problem, eine spirituelle
Gruppe zu finden, die zum einen den eigenen Wünschen entspricht und zum anderen
über die Jahre gesund bleibt, scheint nicht immer einfach zu sein. Denn einige
der oben aufgeführten Beispiele zeigen, kann sich aus einer anfänglich positiv
ausgerichteten Gruppe im Laufe der Zeit eine Institution ergeben, die dem
Einzelnen die eigene Entscheidungsfreiheit nimmt und das Leben in der
Gemeinschaft eher zu einer Qual wird, statt das persönliche und spirituelle Wachstum
zu fördern. Aus diesem Grund sollte man – wie bei allem – auch eine spirituelle
Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, von Zeit zu Zeit mit etwas Abstand
betrachten. Zum einen führt dieser Abstand dazu, dass man sich immer wieder
eine eigene Meinung bildet und zum anderen überprüfen kann, ob sich die
Gruppendynamik verändert und sich die anfänglich positive Aussichtung
gegebenenfalls in eine negative Richtung verändert, dogmatisch wird und sich
mehr und mehr von der Außenwelt abkapselt.
Darüber hinaus ist es aber
auch sicherlich sinnvoll, sich im Vorfeld über die persönliche Motivation
bewusst zu sein, warum man einer spirituell ausgerichteten Gruppe anschließt.
Der Wunsch, sich einer spirituellen Gruppe anzuschließen, kann aus dem tiefen
Wunsch entstehen, Teil von einem Größeren zu sein, als man selbst ist. Dieser
Aspekt ist gerade auf der Ebene der Selbstverwirklichung wichtig. Es ist jene
Stufe, auf welcher für den Menschen die Entwicklung seines eigenen höheren
Potentials zur wichtigsten Priorität wird. In einem solchen Fall wird eine
spirituelle Gruppe für den Suchenden von großem Nutzen sein und er selbst wird
aus sich heraus entscheiden können, wann dieses Ziel innerhalb der Gruppe
erreicht ist und wann es für ihn wieder an der Zeit ist, die Gruppe zu
verlassen und den spirituellen Weg alleine weiter zu gehen. Es gibt auch
Menschen, die das allgemeine Leid der Menschen lindern möchten und aus diesem
Grund einer spirituellen Gruppe beitreten, die sich zum Ziel gesetzt haben, zum
Wohl aller Wesen zu leben. Andere Menschen möchten durch die Mitgliedschaft in
einer Gruppe ihr eigens Potential verwirklichen und auf dem Pfad der
spirituellen Entwicklung fortschreiten. Wieder andere sehnen sich danach, auf
dem Pfad der spirituellen Entwicklung wirklich in der Tiefe fortzuschreiten, um
erleuchtet zu werden, und haben das Gefühl, diese nur unter der Leitung eines
spirituellen Lehrers in einer Gruppe zu können. Denn nach Aussagen vieler
spirituellen Meister ist der Geist des Menschen viel zu komplex, und das eigene
Bewusstsein so vielen Illusionen ausgesetzt, dass es wohl sehr, sehr wenige
Menschen gibt, die den spirituellen Weg alleine bis zu Ende gehen können.
Ist die Motivation der
Selbstverwirklichung, der Erleuchtung allerdings sekundär, was dem Suchenden
vielleicht nicht selbst bewusst ist, kann der Grund für den Beitritt einer
spirituellen Gruppe anders gelagert sein. In einem solchen Fall ist die Gefahr
einer Gruppe beizutreten, die nicht wirklich in der Lage ist, Transzendenz zu
vermitteln ist, gegeben. Hier wird das Augenmerk des Suchenden wahrscheinlich
unbewusst eher darauf liegen, ob die Gruppe die eigenen emotionalen
Bedürfnisse, die zum Beitritt geführt hat, nähren wird. So kann es einem
Menschen zum Beispiel schwer fallen, eigenverantwortlich zu leben und für sich
selbst zu sorgen. Es kann aber auch sein, dass sich ein Mensch einsam und
isoliert fühlt und ihm das Zugehörigkeitsgefühl in einer spirituellen Gruppe
ihn nährt. Ein Mensch kann aber auch unbewusst nach einem Vater- oder
Mutterersatz Ausschau halten, um die beängstigenden Unsicherheiten der
menschlichen Existenz besser ertragen zu können. Vielleicht ist es aber auch
primär die persönliche Ausstrahlung des Gurus oder der Leitfigur, die einen
Menschen zu einer Gruppe zieht.
Warum und wie lange ein
Mensch in einer spirituellen Gruppe bleibt, ist wie viele andere Entscheidungen
im Leben letztendlich von subjektiven Faktoren und Bedürfnissen abhängig.
Selbst wenn es sachliche Kriterien für die Integrität und Solidität einer
spirituellen Gruppe gibt, so scheint die Wahl einer Gruppe wohl eher dem
Prozess des Sich-Verliebens zu ähneln, oder mit dem persönlichen Karma zu tun
haben, statt sich auf sachliche Fakten zu begründen. Denn die wenigsten
Menschen gehen in einem Moment, in dem sie sich verlieben, genauso nüchtern und
sachlich vor wie bei der Auswahl ihres Autos. Somit scheint der Grund, warum
ein Mensch in einer bestimmten spirituell ausgerichteten Gruppe landet,
multifaktoriell und scheinbar nicht nur über den Verstand steuerbar. So lautet
auch eine Antwort auf die Frage: Worauf sollte man Ihrer Meinung nach bei der Auswahl einer
Gruppe achten? folgendermaßen:
Klaus Peter 55 Jahre, Pädagoge für Psychosomatische Gesundheitsbildung: Zunächst einmal bezweifle ich, dass das Wissen um die Kriterien der rechten Wahl einer spirituellen Gruppe einen großen Einfluss auf die Auswahl hat, denn die gestaltenden Grundkräfte (Gunas) der Natur (Prakriti) haben in gewisser Weise die Wahl schon entschieden: Die Natur, die überwiegend unter dem Tamas-Einfluss steht, folgt dem blinden Drang und wählt instinktiv, was ihrer Natur entspricht. Die von Rajas beeinflusste Natur hat scheinbar etwas mehr Auswahlmöglichkeiten, wird aber auch von ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten bestimmt. Wer überwiegend von Sattva geprägt ist, wird vom Lichten angezogen und geht höchstwahrscheinlich sowieso schon intuitiv den richtigen Weg.“
Natürlich ist es wünschenswert, dass ein Mensch sich nicht nur von dem Gefühl der Faszination bei der Auswahl einer Gruppe leiten lässt, sondern auch den gesunden Menschenverstand mit einschaltet, um in Nachhinein böse Überraschungen zu vermeiden. Und somit ist es manchmal ganz hilfreich, wenn man im Vorfeld für sich bestimmte Kriterien festlegt, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen. So scheinen für jeden Menschen die Auswahlkriterien ganz unterschiedlich zu sein, wie die folgenden Antworten auf die Frage zeigen:
Natürlich ist es wünschenswert, dass ein Mensch sich nicht nur von dem Gefühl der Faszination bei der Auswahl einer Gruppe leiten lässt, sondern auch den gesunden Menschenverstand mit einschaltet, um in Nachhinein böse Überraschungen zu vermeiden. Und somit ist es manchmal ganz hilfreich, wenn man im Vorfeld für sich bestimmte Kriterien festlegt, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen. So scheinen für jeden Menschen die Auswahlkriterien ganz unterschiedlich zu sein, wie die folgenden Antworten auf die Frage zeigen:
Beate 48 Jahre, Redaktionsassistentin: Bei
der Auswahl einer Gruppe sollte man darauf achten, dass die Menschen, die dort
zusammenkommen, humorvoll sind, tolerant und sich voll ins Leben integrieren.
Und dass sie die ABSICHT haben, miteinander zu wachsen und sich zu
unterstützen. Dass der Lehrer ein Mensch ist, dessen Ziel es ist, seinen
Trainees zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu verhelfen. Das
entsprechende Handwerkszeug sollte er ihnen klar und einfach vermitteln. Dass
das Preis-Leistungsverhältnis sich in einem gesunden Rahmen befindet.
Dieter 30 Jahre, Psychologe: Mir scheint es bei der Auswahl einer spirituellen Gruppe besonders wichtig zu sein, dass kein Personenkult um den Leiter betrieben wird, sondern dass das Ziel, der spirituelle Wachstum des einzelnen im Vordergrund steht. Darüber hinaus sollten die Mitglieder der Gruppe auch Kontakt zu Außenwelt haben und hier auch Freunde und Ansprechpartner haben, damit man immer auch Kontakt zum Alltag behält und der Austausch mit Menschen außerhalb der Gruppe gewährleistet wird.
Ob und wie lange man den
spirituellen Weg nun alleine oder in der Gruppe gehen sollte, bleibt scheinbar
eine Frage, die sich nur jeder Mensch selbst den eigenen Bedürfnissen
entsprechend beantworten kann. Genauso wird es immer wieder Fürsprecher und
Gegner geben, was den Alleingang auf dem spirituellen Weg betrifft und so gab
es im Rahmen der Befragung auch hier Für- und Widersprecher auf die Frage: Kann man den
spirituellen Weg überhaupt ohne eine spirituelle Gruppe gehen?
Rudiger 64 Jahre, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik, Psychoanalyse in eigener Praxis: Zeitweilig sicherlich, manchmal ist es sogar nötig. Der Mensch ist jedoch ein Gemeinschaftswesen. Alles Geschenkte, Empfangene, Gefundene will mit Mitmenschen geteilt werden. Wahre Menschlichkeit hat eine Anziehungskraft, und so bilden sich ganz natürlich Weg- und Lebensgemeinschaften.
Ulrike, Lektorin:JAAAAA; auf jeden Fall!!! Und ich bin der Überzeugung, sogar viel tiefgreifender, weiter und authentischer! Eine Gruppe kann/sollte eine ganz nette oder auch wichtige Reisebekanntschaft sein - aber nicht mehr. Warum sollten wir uns in ein Kästchen zwängen, wenn wir
Teil des Universums sind?
Und so bleibt letztendlich nur zu hoffen,
dass jeder Mensch für sich selbst die richtige Entscheidung fällt, ob der den
spirituellen Weg lieber in einer Gruppe gehen mag oder ob er dass Gefühl hat,
dass er der Erleuchtung alleine näher kommt. Und es bleibt zu wünschen, dass
jeder Mensch für sich eine gesunde Mischung aus Intuition und Verstand
entwickeln kann, um nicht irgendwann im Verlaufe der Zeit ein böses Erwachen zu
erleben, wenn er sich die spirituelle Gruppe, in der er vielleicht einige Jahre
seines Lebens verbracht hat, mit etwas Abstand betrachten. So, wie es manchmal
der Fall ist, wenn wir verliebt waren und irgendwann feststellen, dass der
Mensch, in den wir uns verliebt hatten, überhaupt nicht zu uns und unseren
Bedürfnissen passt und wir uns dann kopfschütteln denken: Hätte ich doch nur
genauer hingeschaut......“
Ó Doris Iding 2005
Literaturempfehlungen:
Katharina Wulff-Bräutigma: Bhagwan, Che
und Ich. Meine Kindheit in den 70ern. Droemer Verlag, 2005
Ken Wilber: Meister, Gurus,
Menschenfänger. Über die Integrität spiritueller Wege. Spirit Fischer, 1998
Christian Salvesen: Advaita. Vom Glück, mit sich und der Welt eins zu
sein. Philosophie und Praxis einer universalen spirituellen Lehre. O.W. Barth
Verlag, 2003
Doris Iding: Rituale fürs Alleinsein. Wege
zur inneren Freiheit. Krummwisch bei Kiel, 2003
Ursula Wagner: Die Kunst des Alleinseins.
Theseus Verlag, 2005
Bruno Martin: Das Lexikon der
Spiritualität. Lehren, Meister, Traditionen. Atmosphären Verlag, 2005.
Liz Greene: Die mythische Reise. Die
Bedeutung der Mythen als ein Führer durchs Leben. Atmosphären Verlag, 2004.
Georg Feuerstein: Heilige Narren. Über die
Weisheit ungewöhnlicher Lehrer. Krüger Verlag 1991. Zu beziehen über www.yogi-shop.com
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