Das Thema Rückenprobleme bringt sehr viele Menschen auf die Yogamatte. Warum haben hier so viele Menschen Probleme mit ihrem Rücken?
Da hast Du recht, es klagen wirklich viele Menschen über Rückenschmerzen! Wenn ich einen Yogakurs gebe, stelle ich mir immer vor, dass in dem Kurs 8 von 10 Teilnehmern Rückenschmerzen haben oder hatten! Rückenprobleme können ganz viele Ursachen haben: typisch sind nach meiner Erfahrung aber einige wenige: Stress und muskuläre Dysbalancen durch einseitige Tätigkeiten und Bewegungsmangel.
Stress manifestiert sich sehr schnell im Rücken und lässt das Bindegewebe und die Muskulatur unflexibler werden. Nicht ohne Grund sagen wir: Ich fühle mich so angespannt...“ diese mentale Anspannung ist es, was sich dann auch körperlich manifestiert.
Bewegungsmangel ist der zweite große Faktor: Die Muskulatur wird durch das viele Sitzen in eine Zwangshaltung gebracht und es arbeiten nur noch wenige Muskeln. Die, die arbeiten bleiben stark, die anderen werden schwach. Das verändert die Statik im Körper und um den Körper aufrecht zu erhalten und weiterhin in Bewegung halten zu können, müssen einige Muskeln nun ungewohnte Haltearbeit leisten, da die eigentlich dafür zuständigen Muskeln einfach zu schwach sind, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Die Muskeln die „einspringen“ sind dafür oft gar nicht geschaffen worden und verkrampfen und verspannen sich.
Darüber hinaus passt sich das Bindegewebe (die Faszien) an die Alltagshaltung an: Erheben wir uns dann aus der gebeugten Haltung, fühlt es sich an als hätten wir einen zu engen Neoprenanzug an und es spannt an allen Ecken und Enden und es ist anstrengend diese gerade aufrechte Haltung dauerhaft zu halten... ein Teufelskreis, der die Fehlhaltung verschlimmert und damit natürlich auch die Schmerzen.
Wenn du die Probleme auflisten müsstest, welches sind die 5 häufigsten Rückenbeschwerden? Womit hängt ihr Ursprung zusammen?
Die Top 5 sind Schmerzen im unteren Lendenwirbelbereich, Schmerzen im "mittleren" Lendenwirbelbereich, Nackenverspannungen, Schmerzen im ISG Gelenk und Schmerzen in der das Schulterblatt bewegenden Muskulatur. Am Ende hängen diese Beschwerden oft mit einer Fehlhaltung im Alltag oder zu viel Stress zusammen, aber natürlich kann man die Ursachen an dieser Stelle noch viel differenzierter betrachten:
Schmerzen im unteren Lendenwirbelbereich entstehen oft aufgrund einer muskulären Dysbalance zwischen Bauch und Rückenmuskulatur. So haben es viele Menschen verlernt, Spannung unterhalb des Bauchnabels zu entwickeln, also dort wo wir Yogis Uddiyana Bandha setzen. Diese Bauchspannung sorgt für eine Co-Kontraktion in der Rückenmuskulatur und stabilisiert so den unteren Rücken.
Gibt es auch „neue“ Rückenbeschwerden?
Ich habe schon den Eindruck, dass sich veränderte Lebensgewohnheiten sich auch in veränderten Beschwerdebildern niederschlagen. Ich habe den Eindruck, dass die Nackenverspannungen stark zugenommen haben. Dies könnte auf den vermehrten Gebrauch von Smartphones zurückzuführen sein, da hier aufgrund der Größe des Smartphones eigentlich die Schultern immer nach vorne gezogen sind, was zu einer verspannten Nackenmuskulatur führt.
Gibt es unterm Strich Yogaübungen, die für „alle“ Rückenprobleme gut sind?
Atemübungen, also Pranayama, und Meditation sind bei allen Rückenproblemen gut und unterstützen auf jeden Fall immer dann, wenn auch eine Stresskomponente für die Verspannungen sorgt! In Bezug auf Asanas gibt es aber nicht „die Eine“ Wunderübung. Es geht eben darum zu analysieren, welches Beschwerdebild vorliegt, was die Ursachen dafür sein könnten und wie ich dann durch eine gezielte Asanaauswahl helfen kann.
Nehmen wir als Beispiel Schmerzen im unteren Rücken: Rein muskulär kann die Ursache z.B. an einem verspannten Muskulus quadratus lumborum, verspannten Gesäßmuskeln (Gluteus medius oder minimus) oder dem verspannten Muskulus errector spinae liegen. Die Ursache für diese Verspannung kann in einer zu schwachen geraden Bauchmuskulatur, in einer zu schwachen seitlichen Bauchmuskulatur oder auch in einer zu schwachen Gesäßmuskulatur liegen. Yogatherapeutisches Arbeiten bedeutet deswegen für mich, sehr differenziert an das jeweilige Beschwerdebild heranzugehen und eben keine Pauschallösungen anzubieten.
Welches Vorgehen rätst du Betroffenen, wenn die Diagnose etwas komplexer ist? Hast du hier ein Beispiel?
Was ich sehr oft erlebe ist, dass einige Ärzte sich nicht genügend Zeit nehmen, um eine wirkliche Diagnostik durchzuführen. Ich hatte schon mehrere Menschen mit Knieproblemen bei mir, denen der Orthopäde zu einer Knie-OP geraten hat, oder gesagt hat, dass das halt so ist im Alter. Es stellte sich dann aber raus, dass die Ursache für die Schmerzen in einem verspannten Musculus piriformis zu finden war, der auf den Ischias-Nerv gedrückt hat, was dann zu Knieproblemen geführt hat.
Eine andere Dame hatte einen verspannten Musculus tensor faszie latae: Der Hüftmuskel spannt eigentlich eine lange Sehne die bis ins Knie läuft. Ist der Muskel verspannt, strahlt der Schmerz häufig ins Knie aus, hat aber eben seine Ursache an einer ganz anderen Stelle im Körper. Hier hilft mir dann immer wieder der ganzheitliche Ansatz des Yoga: Alles ist mit allem Verbunden, Ursache und Wirkung müssen sich nicht gleich auf den ersten Blick erschließen. Um solche Diagnosen durchführen zu können, braucht es in geschultes Auge um ein Bodyscreening durchführen zu können und Zeit! Zeit, die wir uns im Yoga Personal Training nehmen können. Hier sind es mindestens 60 Minuten, während mancher Arzt innerhalb von Minuten eine Diagnose stellt.
Von welchen Krankheitsbildern bei Problemen mit dem Rücken sollte man als „normaler“ Yogalehrer deiner Ansicht nach die Finger weg lassen?
Ich halte nichts von vorschnellen Diagnosen. Viele Yogalehrer meinen immer alles erklären können zu müssen. Aber was würdest Du sagen, wenn Dein Zahnarzt zu Dir sagt: „...Ach Du hast manchmal Probleme mit dem Herzen? Das liegt ja so nah am Kopf, da kümmere ich mich auch gleich noch drum...“ Wahrscheinlich hättest Du selber nicht geahnt, dass Du so schnell rennen kannst! Wir Yogalehrer meinen aber immer, alles erklären können zu müssen. Müssen wir aber nicht! Gerade wenn wir keine medizinische Grundausbildung haben, würde ich die Menschen immer erst zum Arzt schicken, um eine Diagnose einzuholen. Aus meiner Sicht ist es hier ganz wichtig seine eigenen Grenzen zu kennen. Wenn nichts strukturelles und z.B. auch keine Tumore diagnostiziert wurden, die Ursache also auf muskuläre oder psychische Ursachen zurückgeführt werden kann, dann können wir Yogalehrer mit einer Yogatherapieausbildung richtig gut helfen. Aus meiner Sicht müssen wir in einem Gruppenkurs davon ausgehen, dass die Menschen dort sportgesund sind. Yogatherapeutisches Arbeiten ist für mich ein 1:1 Yoga, findet also im Personal Training statt.
Wie notwendig ist als, auch nach Beheben eines Problems mit den Übungen weiterzumachen, die aus yogatherapeutischer Sicht Sinn macht?
Sehr wichtig. Es gibt Studien, die belegen, dass sich inaktive Muskeln bereits nach 3 Tagen atrophieren, also Muskelmasse und damit Kraft verlieren. Jeder der schon mal eine Extremität eingegipst bekommen hatte, kann das bestätigen. Deswegen ist es so wichtig, dauerhaft die Muskeln und das Bindegewebe zu kräftigen aber auch zu dehnen.
Generell habe ich folgende Faustregel aufgestellt: Die Übungen die am unangenehmsten sind, sind die Wichtigsten, die die Du gerne machst, brauchst Du eigentlich nicht zu üben.
Probleme mit Schultern und Nacken, gehören die für dich ebenfalls zum Bereich „Rücken“ oder ist es ein gesonderter Bereich?
Hier halte ich es mit dem gesunden Menschenverstand. Wer Schmerzen im Kugelgelenk hat, wird nicht davon sprechen, dass er Rückenschmerzen hat, wer Schmerzen im Nacken hat, wird vielleicht eher von Rückenschmerzen sprechen. Auch wenn die Ursachen in beiden Fällen in einer muskulären Dysbalance zwischen einigen schulterblattbewegenden Muskeln und der Brustmuskulatur liegen.
Vielen Dank für das Interview!
Weitere Infos zu Holger Zapf:
Holger Zapf ist Diplomwissenschaftler und hat Philosophie studiert. So hat er sich schon früh mit Körper und Geist beschäftigt und sich seit 2004 durch die Entdeckung von Yoga auf eine spannende Reise zur Ergründung der Seele begeben. Seitdem liebt und lebt er Yoga und hat verschiedene Aus- und Weiterbildungen (USA & Deutschland) absolviert und zeichnet sich durch eine große Offenheit gegenüber Neuem aus. Beruflich ist Holger seit 1992 in dem Bereich „Körper und Bewegung“ als Fitnesstrainer, in der Therapie, als Ausbilder und später im Management für große Fitnessketten und Gerätehersteller tätig gewesen. Mittlerweile bildet Holger zusammen mit seinem Team Yogalehrer (z.B. Yogalehrerausbildung 200h und +300h, Kinderyogalehrer, Pre- und Postnatal, Yoga Personal Trainer, Yoga und Business) in mehreren Deutschen Städten aus und hat 2 eigene Yogastudios in Hamburg und Wiesbaden.
Mehr Infos zu den Yogastudios von Holger Zapf unter: http://www.unit-yoga.de/
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