Mittwoch, 6. Januar 2016

Auf der Suche nach dem perfekten Guru!

Im April / Mai diesen Jahres leite ich eine Reise nach Indien. Während ich mich innerlich jetzt schon darauf freue und vorbereite, viel mir folgende Erfahrung ein, die ich während einer Indienreise im Jahr 2004 gemacht habe. Ich habe sie in einem meinem Buch "Alles ist Yoga" veröffentlicht und liebe diese Geschichte:

Auf der Suche nach dem perfekten Guru
Im März 2004 fuhren fuhr ich zusammen mit einer Freundin nach Indien, um das Geburtsland des Yoga zu besuchen. Die wunderschönen und ausdrucksstarken Fotografien indischer Yogis hatten uns beide gleichermaßen immer wieder beeindruckt. Deshalb hofften wir, persönlich eine Begegnung mit einem solch charismatischen Yogi erleben zu können. Wir hatten bereits zahlreiche Idealvorstellungen von einem solchen Guru entwickelt, die durch viele Berichte von Indienreisenden und fantasievollen Legenden gespeist worden waren: großgewachsen, braungebrannt mit muskulösem Körper, charismatische Gesichtszüge sowie Augen, die uns beim ersten Blick durchdringen und in die tiefste Tiefe unserer Seelen schauen können.

Ankunft in Neu-Dehli
Unsere Reise führte uns von Neu-Delhi, einer der dreckigsten Städte der Welt, nach Jaipur. Müde und erfüllt von unterschiedlichsten Eindrücken, fanden wir dort ein kleines gepflegtes Hotel. Direkt daneben gab es eine Yogaschule, auf die wir durch ein riesiges Plakat aufmerksam geworden waren. Natürlich wollten wir mit unserer Suche nach einem charismatischen Guru direkt hier vor Ort beginnen, obwohl uns hier nicht wirklich nach Yoga und Pranayama zu Mute war. Die Luft in Jaipur war nur unwesentlich besser als die in Neu-Delhi … Trotzdem wollten wir uns nicht davon abhalten lassen, unter der Aufsicht eines guten indischen Lehrers an einer Yogastunde teilzunehmen.

Nach unserer ersten Nacht in Jaipur gingen wir morgens um sechs Uhr, noch müde und unausgeschlafen, zur Yogaschule. Sie war in einem alten Schulgebäude untergebracht und sah alles andere als einladend aus. Der Vorgarten war ungepflegt, und das Gebäude selbst war heruntergekommen. Hier und dort wiesen Spuren darauf hin, dass man versucht hatte, gewalttätig in das Haus einzudringen, weil Fensterscheiben fehlten und Holzbretter vor die Fenster genagelt worden waren.

Angekommen?!
Wir waren offensichtlich die ersten Schüler für den Yogaunterricht, der laut Plakat um sechs Uhr beginnen sollte. Während wir unsere Blicke nach einem möglichen Bewohner oder Hausmeister durch das marode Haus schweifen ließen, warteten wir gespannt auf unseren Yogalehrer. Kurze Zeit später tauchte eine kleine, mollige Frau in den Dreißigern auf, die in einen etwas schmuddeligen Sari gekleidet war. Sie begrüßte uns lediglich mit einem leichten, fast gleichgültigen Kopfnicken und ging dann zu einer alten Holzkiste, die auf der Veranda des Schulhauses stand. Etwas ungeschickt holte sie eine alte, fleckige und staubüberzogene Decke als Unterlage für die Übungen heraus. Mit einem erneuten Kopfnicken wies sie uns an, es ihr gleichzutun. Katja und ich schauten uns an, und mit viel Widerwillen und einem leichten Gefühl des Ekels zogen wir zwei weitere, ebenso dreckige und verstaubte Decken aus der Kiste und suchten uns einen Platz auf der Veranda.

Nun erschien eine weitere mollige Inderin. Auch sie würdigte uns keines Blickes und zog sich eine Decke aus der Kiste, die sie neben der anderen Inderin ausbreitete. Unvermittelt begannen die Damen mit Atemübungen, ohne uns weiter zu beachten. Sie machten nur wenige, kurze Atemübungen und begannen dann mit einigen Dehnübungen. Währenddessen unterhielten sie sich. Neben achtsamen Yogis, die sich mit voller Präsenz in ihre Übung hineingeben, wirkten diese beiden Inderinnen auf uns wie schnatternde Gänse. Und wir standen da – mehr Beobachter als Teilnehmer dieser Szenerie – und waren teils verblüfft, teils voller Argwohn. Weder verspürten wir angesichts der schlechten Luft den Drang, tief und bewusst ein- und auszuatmen, noch wollten wir uns auf die dreckige Decke stellen oder legen.

Nach nur wenigen Minuten schauten wir uns wortlos an und packten die Decken wieder in die Kiste. Wir verabschiedeten uns bei den beiden Frauen mit einem Kopfnicken, das emotionslos erwidert wurde, und gingen enttäuscht in unser Hotel zurück. Wir beide hatten uns einen Yogaunterricht in Indien doch ganz, ganz anders vorgestellt! Wir machten es uns im Bett gemütlich, ließen das gerade Erlebte noch einmal lachend Revue passieren und gaben dann unserer Enttäuschung über unsere erste Yogastunde in Indien viel Raum.

Das Warten auf den Guru
Während die ersten Sonnenstrahlen in unser Zimmer schienen, fiel mir folgende Geschichte ein, die ich meiner Freundin erzählte:

»Es gab einmal einen großen indischen Yogi, der in Madurai einen Vortrag und in Folge einen einwöchigen Workshop über Pranayama halten sollte. Der Vortrag zu dem Workshop war für vierzehn14 Uhr nachmittags angesetzt. Der Yogi, der aus Indien stammte, aber mittlerweile seit zwanzig Jahren in Amerika lebte, war zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder in Madurai zu Gast. Aber sein Ruf als charismatischer Yogi war in ganz Indien bekannt, und dass er in Amerika lebte, tat der Bewunderung für ihn keinen Abbruch. Deshalb war sein Vortrag in einer Halle, die fünftausend Menschen Platz bot, sehr schnell ausverkauft. Tausende Menschen mussten vor der Halle bleiben, von wo aus sie den Vortrag über eine Großleinwand verfolgen konnten.

Um 14 Uhr war die Spannung im Vortragssaal sehr hoch, denn alle Anwesenden freuten sich seit Wochen auf diesen Tag. Sie konnten kaum abwarten, den Guru persönlich bewundern. Aber der Guru kam nicht. Im Verlauf der nächsten Stunde entstand eine Stimmung, die eine Mischung aus Spannung, Neugierde und Ungeduld war. Hier und dort machte sich auch schon erste Unzufriedenheit breit.

Um Punkt 16 Uhr trat schließlich ein Assistent des Gurus in den Saal, um zu sagen, dass sich der Vortrag aufgrund höherer Gewalt noch um eine weitere Stunde verzögern würde. Ein Raunen ging durch den Saal. Einige der Anwesenden schimpften, andere erhoben sich empört, verließen den Saal, gingen zur Kasse, forderten ihr Geld zurück und gingen nach Hause.

Als der Yogi um 18 U Uhr immer noch nicht erschienen war, wurde die Unzufriedenheit des Publikums immer deutlicher, das Kopfschütteln des Unverständnisses immer offensichtlicher. Nach und nach verließen immer mehr Menschen augenscheinlich verärgert den Saal. Um neunzehn19 Uhr waren schließlich nur noch hundert Menschen anwesend, die die Zeit des Wartens zeitweise meditierend verbracht hatten und nun versuchten, offensichtliche Gelassenheit zu demonstrieren.

Kurz nach neunzehn19 Uhr trat der Yogi ein. Er wirkte vollkommen betrunken und begann, mit einer hübschen jungen Frau im Publikum zu flirten. Er erweckte nicht den Anschein, mit dem Vortrag beginnen zu wollen. Die übrigen Anwesenden reagierten empört. Wie konnte dieser Mann, nachdem sie viele Stunden auf ihn gewartet hatten, sich jetzt so aufführen? Empörtes Gemurmel wurde laut, doch der Meister kümmerte sich nicht darum. Er erklärte brüllend, wie sexy die junge Frau doch sei, und lud sie ein, ihn nach Frankreich zu begleiten. Danach beschimpfte er die Anwesenden, die sich empört hatten, und fiel dabei schwer zu Boden.

Daraufhin verließen alle bis auf neun Personen entsetzt, laut schimpfend oder kopfschüttelnd den Saal. Aber kaum hatte die-se Gruppe der Empörten den Saal verlassen, da erhob sich der Yogi. Er war nüchtern, seine Augen verströmten Licht, und ihn umgab eine Aura großer Weisheit. »Ihr, die ihr noch hier seid, seid diejenigen, die mich hören sollen«, sprach er. »Ihr habt die zwei härtesten Prüfungen auf dem spirituellen Weg bestanden: Ihr habt die Geduld bewiesen, auf den richtigen Augenblick warten zu können, und den Mut gezeigt, euch nicht von dem, was ihr vorgefunden habt, enttäuschen zu lassen. Ich freue mich, euch in den nächsten Tagen in die Geheimnisse des Pranayama einführen zu dürfen.«

Erwacht
Als ich mit der Geschichte geendet hatte, schwiegen wir beide. Ich schaute aus dem Fenster. Mittlerweile war es draußen hell geworden, und ich konnte von meinem Platz aus das Schild der Yogaschule sehen. Ich wandte mich meiner Freundin zu und konnte sehen, dass ihr die gleichen Fragen durch den Kopf gingen wie mir: Hatten wir die wahre Größe dieser Frau vielleicht nicht erkannt? Hatten wir durch unsere Vorstellungen über einen Yogaunterricht in Indien die Möglichkeit verpasst, bei einer großen Lehrerin etwas Weiterführendes über Yoga zu lernen?

Eine Antwort darauf wussten wir nicht. Dennoch hatte diese mollige, kleine Yogalehrerin uns ein Stück weit die Augen geöffnet. Sie hatte uns gezeigt, dass wir beide die härtesten Prüfungen eines spirituellen Suchenden bereits am Anfang unserer Reise nicht bestanden hatten. Und sie hatte uns vor Augen geführt, wie hinderlich es sein kann, mit so konkreten Vorstellungen wie den unseren über einen Yogalehrer durch Indien zu reisen.

In den folgenden Wochen besuchten wir noch eine Vielzahl von Yogastunden. Die Lehrer, die den Unterricht leiteten waren so bunt, vielseitig und unterschiedlich wie Indien selbst. Viele von ihnen haben uns sehr bereichert. Aber keine Yogastunde ist uns so lange in Erinnerung geblieben wie die in Jaipur.

Informationen zu meiner Indienreise findest Du hier

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