Was ist Deine größte Sorge in Zeiten, in denen Du nicht zufrieden bist? Das Du das, was in Dir schlummert, Deine Bestimmung, das heißt Dein Dharma nicht wirklich zum Ausdruck bringst? In der Bhagavad Gita zeigen Dir Arjuna und Krishna auf, wie Du zu deiner persönliche Lebensaufgabe finden kannst. Der Psychologe und Yogalehrer Stephen Cope hat sich daran orientiert und ein sehr wertvolles Buch geschrieben, dass mich zu folgendem Text inspiriert hat!
Die Geschichte der Bhagavad Gita, eine der wichtigsten yogischen Schriften, spielt im Nordindischen Königreich Kuru. Sie erzählt von der sagenumwobene Schlacht kurz vor dem Ausbruch: Zwei verwandte Königsfamilien stehen sich gegenüber. Die Pandavas und die Kauravas. Die Pandavas, die Familie des Kriegers Arjuna, repräsentieren die „Mächte des Lichts“; die Kauravas verkörpern die „Mächte des Dunklen“. Letztere haben sich ihren Namen redlich verdient, indem sie sich den Thron des Landes Kurus widerrechtlich angeeignet und damit den Frieden und das Wohlergehen des Volkes zerstört haben. Dem jungen Krieger Arjuna steht Krishna als Wagenlenker Rat gebend zur Seite. Er führt Arjuna Schritt für Schritt in die Weisheit seines Dharmas eins. Gleichzeitig gibt er sich Arjuna auf diesem Weg nach und nach selbst zu erkennen, als Inkarnation des Gottes Vishnus.
Die Ausgangssituation
Als Arjuna den bevorstehenden Kampf betrachtet, sieht er das drohende Unheil – nämlich besonders das Ende der Ordnung und Harmonie innerhalb der Familie und des Reiches. Genau deshalb möchte er nicht Teil des blutigen Kampfes werden. Genau deshalb möchte er nicht seine leitende Stellung in dieser Schlacht einnehmen, und um sein rechtmäßiges kämpfen. Eigentlich wäre das sein Dharma, seine offenkundige heilige Pflicht. Aber: er will nicht handeln! Er will seine Verwandten nicht töten. Mit dieser Bürde würde er nicht weiterleben können. Handelt er jedoch nicht, wird er sein Dharma nicht erfüllen und das, was seinem Leben bis dahin einen Sinn gegeben hat, verraten.
Zweifel loslassen
Die Bhagavad Gita erzählt, worum Menschen durch ihr Menschsein seit Anbeginn der Zeit ringen – nämlich um die Frage nach der eigenen Bestimmung: Wie weiß ich, was meine Aufgabe in diesem Leben ist? Woran kann ich erkennen, ob ich richtig handle? Wie entscheide ich mich zwischen zwei schwierigen Handlungsoptionen? Wie finde ich Antworten – heute und ohne Krishna an meiner Seite?
In der Bhagavad Gita lässt sich Arjuna zunächst mit all diesen Fragen auf den Boden seines Streitwagens sinken. Zweifel lähmen ihn für den nächsten Schritt, lassen ihn handlungsunfähig werden. Krishna benennt das Dilemma des jungen Kriegers und umreißt auch, wohin das im schlimmsten Fall führen kann: „Zweifel befällt den Menschen dem es an Glauben fehlt und kann ihn letzten Endes zerstören.“
Und tatsächlich: Wie oft sind auch wir gefangen in Zweifeln. Sind zwiegespalten, voller Bedenken und gefangen in der Ungewissheit, uns selbst vertrauen zu können. Im Yoga wird Zweifel sogar als „das unsichtbare Leiden“ betrachtet: Es ist hinterhältig. Agiert im Verborgenen. Aus dem Unbewussten heraus und ruft so auf subtile Weise Leid in uns hervor. Manche Menschen stecken ihr ganzes Leben lang in Zweifeln fest. Und schlimmer noch: Sie richten sich an diesem Punkt in ihrem Leben ein und machen andere Menschen, die Umstände, das Schicksal dafür verantwortlich, dass sie aufgehört haben, nach Antworten zu suchen. Dabei vergessen sie, dass sie die Wahl haben und hatten, die Zweifel hinter sich zu lassen, eine Entscheidung zu fällen und weiterzugehen – um das eigene Dharma zu leben. Und obwohl sie dort verharren, und ihr Leben wie fremd gesteuert leben, ist sie aber immer da, diese unbestimmte Sehnsucht nach Erfüllung, nach einem sinnvollen Leben. Die Sehnsucht nach einem tieferen Sinn nach dem, was uns brennen und leben lässt. Doch stopp: zurück zunächst zur Bhagavad Gita zu Arjuna und Krishna.
Nichthandeln beenden
Als der junge Krieger verzweifelt auf dem Boden seines Wagens kauert, will er den Weg den Nichthandelns einschlagen. „Wenn ich mich nicht entscheiden kann, dann tue ich besser gar nichts.“ sagt er zu Krishna, und das obwohl er sich damit keineswegs wohlfühlt.
Auch hier: Kennen wir nicht alle Situationen, in denen wir keine Position beziehen wollen. Oder in denen wir einen Konflikt aussitzen wollen, weil wir Angst vor den Konsequenzen haben? Das ist nur allzu typisch für uns Menschen. In der Bhagavad Gita erklärt Krishna Arjuna an dieser Stelle, dass auch nicht Nicht-Handeln eine Form des Handelns ist – und auch diese Form des Handelns Konsequenzen hat. Dies versteht Arjuna, weiß aber nicht, wie alternativ richtiges Handeln aussehen soll. Krishna erläutert seinem Schüler: „Schau auf Dein Dharma! Es gibt eine bestimmte Art des Handelns, die uns Freiheit und Erfüllung bringt. Diese bestimmte Art des Handelns ist stets verbunden mit unserer wahren Natur – und wird auf Dharma begründetes Handeln bezeichnet.“
Etwas zeitgemäßer ausgedrückt heißt dies: gemeint ist ein Handeln im Dienst unserer ureigenen Berufung, unserer inneren oder spirituellen Pflicht. Wenn wir unserem Dharma gemäß handeln, ist es möglich, leidenschaftlich zu handeln, ohne Leid hervorzurufen. Es ist möglich, für etwas zu brennen, ohne dabei auszubrennen. Laut Krishna also ist es möglich, echte Erfüllung innerhalb unseres menschlichen Handelns zu finden.
Im weiteren Verlauf der Bhagavad Gita enthüllt Krishna Arjuna nach und nach das Konzept des Dharma. Er erklärt ihm den Weg durch das Labyrinth des aktiven Lebens, der den Namen Weg des Handelns im Nicht-Handeln oder naishkarmya-karman enthalten soll. Schritt für Schritt zeigt Krischna Arjuna den Weg zu einem authentischen Selbst durch das Handeln in der Welt. Nicht durch Verzicht und Abkehr. Nicht durch Rückzug. Und insbesondere nicht durch Nichthandeln. Der Schlüssel liegt in den vier Säulen des karmayoga, dem Nichthandeln im Handeln:
1. Blicke auf deinen Dharma
2. Tue es ganz
3. Lass die Früchte deines Handelns los
4. Überlasse es Gott
Blicke auf deinen Dharma!
Dharma heißt, die grundlegende Natur eines Menschen zu verwirklichen. Er umfasst die Summe all seiner speziellen Fähigkeiten oder Eigenschaften eines Menschen. Und wenn er diese Veranlagungen lebt, wird er in gewisser Weise erst er selbst. Wissenschaftler berichten, dass jedes Gehirn so einzigartig ist, wie ein Fingerabdruck. Man könnte sagen, der Dharma eines Menschen ist wie ein innerlicher Fingerabdruck. Er ist die subtile Blaupause einer Seele.
Wie aber können wir ihn erkennen? In vielen Fällen ist es ein schwieriger Prozess. Es ist ein stetes Ringen mit Zweifel, Zwiespalt und Verzweiflung. Um das eigene Dharma zu erkennen, geht es nicht darum, alles zu erreichen, was wir uns in den Kopf gesetzt haben. Oft werden diese Wünsche vorangetrieben von unserem Ego. Wenn wir uns hingegen fragen, wer wir eigentlich sind, was unser wahres Selbst ist, wer wir jenseits der Ansprüche an uns sind, die unsere Eltern, unsere Partner oder unsere Gesellschaft an uns stellt, dann können wir ein erfülltes Leben erwarten. Aber das erfordert Hingabe und die Bereitschaft, genau hinzuhören, was in uns steckt.
Häufig sind wir bereits als Kinder mit unserer Gabe in Kontakt. Wir können uns überlegen, was uns bereits früher inspiriert oder begeistert hat. Wir können wieder Kontakt dazu aufnehmen, wenn wir ihn im Laufe unseres Lebens verloren haben. Und wir können der leisen Stimme in uns folgen, der wir bislang nicht gefolgt sind. Es wäre jetzt an der Zeit, das zu tun, was sie uns sagt.
Manchmal können wir unser Dharma leben, ohne berühmt zu werden. Es kommt nicht immer auf die Größe an. Folgen wir unserer inneren Stimme, dem Feuer in uns, sind wir auf dem richtigen Weg, unser Dharma zu leben. Fühlen wir uns glücklich, zufrieden und eins mit Gott und der Welt, leben wir unser Dharma. Es verbindet uns mit der Seele der Welt. So gering es uns erscheinen mag: Es hat eine enorme Kraft: die grundlegend innere Ordnung der Welt aufrecht zu halten
Tue es ganz!
In der Bhagavad Gita empfiehlt Krishna Arjuna sich dem Dharma vollkommen hinzugeben. Und zwar entschlossen! Die Handlungsweise, die sich bewusst auf unseren Dharma stützt, hat die Kraft, unsere Energien zu bündeln. Dieses Handeln im Außen formt - Schritt für Schritt - unser Inneres und festigt unseren Entschluss, dranzubleiben. Dabei sollten wir uns keine Gedanken über Erfolg oder Misserfolg machen, sondern unsere ganze Lebenskraft auf die Umsetzung unseres Dharmas richten. Ja: wir sollten unser ganzes Wesen für unser Dharma einsetzen, jede Handlung in Übereinstimmung mit der eigenen Bestimmung bringen. Dass heißt: all unsere Kraft auf die gestellte Aufgabe bringen.
Lass die Früchte deines Handelns los!
Krishna lehrt Arjuna darüber hinaus, sich nicht um Erfolg und Misserfolg in den Augen der Welt zu sorgen. Er sagt vielmehr: „Es ist wichtiger, an dem eigenen Dharma zu scheitern, als mit dem Dharma eines anderen erfolgreich zu sein.“ Dieser Punkt fällt uns besonders schwer. Wir sind leistungsorientiert, wir streben nach etwas Großem und so glauben wir irrtümlicherweise, dass sich unser Dharma in Erfolg, Besitz und Bewunderung äußern muss. Oder besser noch: in allem gleichzeitig. Hier werden wir aufgefordert, uns nicht an die Früchte zu klammern. Das Festhalten an Erfolg kann uns einschränken. Anhaften und Festhalten stört den Geist. Ein auf Erfolg gerichteter Geist drängt nach vorne, kann sich nicht auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren. Er will immer noch mehr. Wenn wir zu sehr am Resultat hängen, machen wir uns ständig Sorgen um das Resultat. Festhalten an ein Resultat macht ruhelos. Festhalten trübt den Geist. Festhalten trennt uns. Dann entsteht eine Kluft zwischen Subjekt und Objekt. Wenn unser Geist nicht festhält, ist er frei – von Unruhe, Verschleierung und Spaltung. Er ist entspannt. Sieht klar. Dann können wir uns ganz dem Dharma widmen.
Überlasse es Gott!
Jede wahre Berufung entstammt dem Strom der Liebe zwischen einer einzelnen Seele und der göttlichen Seele. Aller Dharma ist eine Rückkehr der Seele zurück zu ihrem Ursprung – zur göttlichen Seele. Dies macht auch Krishna seinem Schüler deutlich. Er verhilft Arjuna im Laufe des Gesprächs dazu, seine wahre Natur zu erkennen. Jene Natur, die göttlich ist. Die ungeboren, unsterblich und nicht manifest ist und für den gewöhnlichen Geist nicht fassbar ist. Er zeigt ihm, dass die Aspekte unseres Lebens, die wir für unser wahres Selbst halten, unsere Persönlichkeit, unser Körper, unsere Karriere, unser Haus, unsere Geschichte – nicht unser wahres Selbst sind. Unser wahres Selbst ist unsere unsterbliche, göttliche Seele, die nicht auf unsere jetzige Form beschränkt ist. Krishna lehrt Arjuna einen beständigen Blick auf das Selbst. Jenem Selbst, dass eins mit dem Urgrund des Seins ist, mit Brahman. Eins ohne ein Zweites.
Jeder hat diese Erfahrung bereits schon einmal gemacht. Auch Arjuna hat es. Und Krishna weiß dies. Und er wird nicht müde, Arjuna zu erklären, dass wenn wir einen kurzen Moment der Erkenntnis erfahren, dieser die Art und Weise verändert, wie wir handeln. Er verändert unsere Entscheidungen. Er hilft uns auch, unser Dharma zu sehen – und dann zu leben. Unser Selbst enthält etwas Geheimnisvolles, weiß es doch, dass sich alles zum Guten wenden wird, wenn wir seiner Stimme vertrauen, die sich immer wieder meldet. Doch allzu oft negieren wir sie. Wollen sie nicht hören und handeln scheinbar vernünftig nach unserer Ratio.
In der Bhagavad Gita wird Krishna nicht müde, seinem Schüler zu vermitteln, wie wichtig es ist, dieses Selbst zu erkennen und zu leben. Yoga hilft uns dabei. Denn auch im Yoga geht es darum, Yoga seiner selbst auf der Matte zu machen. Ganz einfach. Ohne Ziel. Ohne Absicht. Wenn uns dies gelingt, kommen wir in Kontakt mit unserem Selbst. Und keiner weiß besser, was unsere Bestimmung ist, als dieses Selbst. Wir brauchen ihm nur zuzuhören. Es kennt alle Antworten. Und wenn wir den Zugang dazu wieder verloren haben und daran zweifeln, ob wir unsere Bestimmung auch wirklich leben, dann brauchen wir nur dem Dialog von Krishna und Arjuna lauschen. Denn wenn nicht sie um die Verwirklichung des Dharma wissen, wer dann?
Zum Weiterlesen:
Stephen Cope. Das große Werk deines Lebens. Die Weisheit der Bhagavad Gita neu entdecken. Cope beschreibt anhand zahlreicher bekannter und unbekannter Biografien, wie es aussieht, wenn Menschen ihr eigenes Dharma leben – oder auch nicht. Arbor Verlag 2014
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