Donnerstag, 30. September 2021

Das Leben, mein größter Lehrmeister

 

Jeden Tag hält das Leben zahlreiche Lektionen für uns bereit. 

Erkennst du deine eigenen?! Hier lernst du ein paar typische 

Prüfungsfragen des Lebens kennen!

 

Vor drei Tagen habe ich mich wahnsinnig aufgeregt über meinen 

Nachbarn. Den ganzen Nachmittag ging er mir durch den Kopf. 

Innerlich habe ich ihn angeklagt und verurteilt. Und dann schoss mir 

plötzlich die Aussage einer meiner spirituellen Lehrerinnen durch 

den Kopf. Sie pflegte zu sagen: „Wenn dich etwas länger als 

drei Minuten beschäftigt, dann hat es nichts mehr mit dem 

anderen zu tun, sondern nur noch mit dir selbst.“ 

In dem Moment wurde mir bewusst, dass das, was mich an meinem 

Nachbarn so enorm getriggert hatte, gar nichts mit ihm zu tun hatte. 

Nein, es war viel mehr ein Hinweis auf meine eigene 

Unzulänglichkeit, meine eigene Intoleranz, meine eigene Engstirnigkeit. 


Kennst du solche Situationen?

 

Viele Facetten für unsere Lektionen

Damit wir uns unserer Selbst bewusstwerden, hält das Leben viele Situationen für uns bereit: Glück. Magie. 

Eintönigkeit. Freude. Liebe. Viren. Abwechselung. Sehnsüchte. Masken. Schöne Wandertouren. 

Verbundenheit. Schlechte Fußballspiele. Eine Pandemie.  Orientierungslosigkeit. Zufriedenheit. 

Langeweile. Naturkatastrophen. Unlösbare Paradoxe. Konstante Veränderung. Wie wir darauf reagieren, 

liegt an uns selbst. Ob wir solche Erfahrungen als unsere Lehrmeister betrachten, um achtsamer zu 

werden, liegt ebenfalls an uns. Ob wir uns des Lebens als ein großes Geschenk bewusst machen, dass dazu 

bestimmt ist, um zu lernen, zu wachsen und offener zu werden liegt ebenfalls in unserer Hand.

 

Und damit komm auch schon die erste Selbstreflexionsfrage, die ich gerne an dich richten möchte.  

Was ist das Leben für dich? Ein Ponyhof? Eine Schule? Eine Besserungsanstalt? Ein Lehrstück? 

Wie reagierst du im täglichen Leben auf Situationen – oder besser gesagt – auf Lektionen, die dir das 

Leben ungefragt vor die Füße wirft? Mit einem Lächeln? Mit einem Vorwurf? Mit dem Gefühl, Opfer 

widriger Umstände zu sein? Fragst du dich ab und zu: Was soll ich aus dieser Begegnung oder jener Situation 

lernen?

 

Wie wir auf unser Leben schauen, hängt von unserer Perspektive ab. Das Yogasutra des Patanjali lehrt 

uns mit den Yamas, einen bewussten Umgang mit anderen Menschen zu kultivieren. Anderen Menschen 

keinen Schaden hinzuzufügen, zum Beispiel.  


Achtest du im Kontakt mit anderen Menschen auf diese Schadensbegrenzung? 

Gerade jetzt befinden wir uns in einer Situation, die uns alle sehr herausfordert. 

Wie verhälst du dich im Umgang mit anderen Menschen. Wie gewaltfrei sind deine Gedanken 

hinsichtlich jener Menschen oder Menschengruppen, die eine andere Haltung auf die derzeitige Situation 

haben? Kannst du ihnen trotzdem mit offenem Herzen begegnen?

 

Wenn wir uns diese Fragen stellen und bei der Beantwortung achtsam bleiben, also uns selbst mit 

einem offenen, wertfreien Geist betrachten, können diese Antworten sehr heilsam und aufschlussreich sein. 

Sie können uns auf einer tieferen Ebene mit uns selbst in Kontakt bringen. Sie können uns auch darin 

unterstützen, dass wir aufhören, andere Menschen oder widrige Umstände für unsere Empfindungen 

verantwortlich zu machen. Solche Fragen können uns auch dazu führen, dass wir uns auch darüber 

bewusstwerden, wie wir generell auf unser Leben schauen. Deshalb möchte ich dir hier ein paar weitere 

Fragen stellen:

 

Dein Blick auf das Leben

Schaust du generell in das halb volle Glas oder ist es eher leer. Wie wär’s, wenn du einen Moment innehälst

 und du dir die letzten drei Stunden, Tage, Wochen oder Monate vor Augen hälst. Durch welche „Brille“ 

hast du dein Leben betrachtet?! War es eher leicht? Oder schwer? Eintönig, abwechslungsreich oder 

langweilig? Waren es in deinen Augen eher die anderen Menschen, die dafür verantwortlich waren oder sind, 

wie du dich gefühlt hast? Oder bist du bereit, Situationen auch immer wieder dahingehend zu überprüfen, 

ob auch du einen Anteil an der Entwicklung einer Situation hast?

 

Möglicherweise hattest du in deinem Leben bereits einschneidende Erfahrungen wie einem schweren 

Unfall, eine Krankheit oder einem Verlust, die dazu geführt haben, dass du dich immer wieder fragst: 

„Welchen Sinn hat das, was mir gerade passiert?“ Vielleicht gehörst du seit einer solchen Erfahrung zu 

denjenigen, die es wagen, eigenständig zu denken und die sich zu träumen wagen von einem erfüllten Leben.

 

Solltest du dir die Frage nach dem Sinn deines Lebens noch nicht gestellt haben, wäre heute 

vielleicht eine gute Gelegenheit dazu. Magst du noch einmal innehalten und dich fragen:


„Was soll das, was mir da gerade widerfährt?!“

„Habe ich den Sinn meines Lebens schon erkannt?“

„Gebe ich meinem Leben genug Sinn?“

 

Erst gestern sprach ich mit einer Frau darüber, dass sie sich selbst zu Beginn der Coronakrise Gedanken 

gemacht hat über den Sinn und Unsinn von Qualität, Quantität und von Konsum an sich. Sie hat ihr 

eigenes Leben hinterfragt und festgestellt, dass sie viel weniger braucht, als sie bislang dachte. 

Sie hatte sich vorgenommen, nach der Pandemie kürzerzutreten, weniger Serien zu schauen, mehr Freunde 

zu treffen. Ja, sie wollte mehr leben, statt gelebt zu werden. Sie wollte ihr eigenes Leben wieder häufiger 

in die Hand nehmen. Aber jetzt, so meinte sie mit gesenktem Stimme, würde sie sich so langsam wieder im 

Hamsterrad einlaufen. So wär‘ das Leben halt mal. Wir wären schließlich nicht zum Spaß hier! 

Sind wir das nicht?! Wer sagt, dass wir ferngesteuert leben sollen?! Das Leben, unser Meister? 

Nein, das will, dass wir die Magie des Moments erkennen und leben. Das ist zumindest meine Erkenntnis.

 

Wer auch immer riskiert, sich auf das Abenteuer selbstgelebtes Leben einzulassen, wird alsbald realisieren, 

dass leben ein Tu-Wort ist. Er wird erfahren, was es heißt zu leben, anstatt gelebt zu werden. 

Solche Menschen genießen die Lücken in ihrem Lebenslauf. Sie genießen das Nichtstun und das Sosein. Sie lieben Überraschungen, Vielfalt und Lebendigkeit.

 

Lektionen lernen                                            

Innere, eigene Weisheit erlangen wir primär durch Verluste, Krankheiten und Kummer. Zu Meistern 

werden wir dann, wenn wir an diesen Lektionen nicht zerbrechen. Zu großen Meistern werden wir darüber 

hinaus, wenn wir Nein sagen, wenn wir Nein meinen und einen Weg beschreiten, den vor uns noch 

niemand gegangen ist. Und sei es nur in Gedanken. Und wenn wir es ganz zu uns nehmen, dass unser 

einziges kostbares Leben, werden wir es als unsere Schule begreifen. Dann werden wir uns vor 

ihm als unseren Lehrmeister verneigen.  Eine solche Herangehensweise kann unseren Blick weit werden

 lassen und uns dabei helfen, den ein oder anderen Glaubenssatz unseres Inneren Kritikers loszulassen. 

Dann wird unser Herz weiter und das Leben leichter.

 

Zum Weiterlesen: Doris Iding: Das Leben, mein Meister. Lotos Verlag 2021. 16 EURO

 

 

 

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