Prof. Reddemann zählt zu den erfahrensten Trauma Therapeutinnen in Deutschland. Während des Lockdowns führte ich ein Interview mit ihr:
Was genau ist ein Trauma?
Trauma bedeutet Wunde oder auch Verwundung, in diesem Fall auf der seelischen Ebene. Wie bei körperlichen Wunden gehen die Verwundungen von ganz leicht bis sehr schwer. Es lässt sich vorstellen, dass jemand der oder die auf dem Land mit großem Garten lebt, ganz anders belastet sein wird als jemand die z.B. als alleinerziehende Mutter in der Großstadt mit 3 kleinen Kindern in einer kleinen Wohnung zurecht kommen muss. Das Einhalten sozialer Distanz ist für Viele sehr belastend und kann sich traumatisierend auswirken. Die Folgen all dieser unterschiedlichen Formen von Belastungen oder auch Traumatisierungen sind wiederum sehr unterschiedlich. Sehr belastete Menschen können z.B. in starke Unruhe geraten, oder auch erstarren. Je länger diese Krise anhält, desto mehr Menschen werden mit Belastungssymptomen reagieren. Auch das hat Ähnlichkeit mit einem körperlichen Trauma. Je länger eine Verletzung einwirkt, desto gravierender kann sie sein. Ich möchte aber auch sagen, dass nicht alle Menschen die jetzige Situation als traumatisierend erleben. Das hängt mit einigen weiter unten angesprochenen Faktoren zusammen.
Wir befinden uns in einer großen Krise. Wie beurteilen Sie als Traumatherapeutin diese Situation?
Diese Krise kann – aber muss nicht! – insbesondere für Menschen, die schon früher im Leben traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, als extrem belastend erlebt werden. Es gibt aber auch Menschen, die sagen und ertragen können, dass zum Menschsein durchaus solche Erfahrungen dazu gehören. Insbesondere wenn man sich an unsere Geschichte erinnert, hat es ja sehr große vergleichbare Krisen gegeben. Man denke an die Pest.
Kann die jetzige Coronakrise traumatische Erfahrungen für Menschen auslösen?
Ja, das ist möglich. Wir erleben ja, dass wir hilflos sind. Wir wissen nicht, was es mit dem Virus auf sich hat, wie man ihm begegnen soll. Hilflosigkeit in dem Ausmaß wie wir sie jetzt erleben, kann sich traumatisierend auswirken, insbesondere dann, wenn noch weitere Probleme, die mit sich ausgeliefert Fühlen, z.B. Geldsorgen zusammenhängen, dazu kommen.
Welche Menschen sind besonders gefährdet ein Trauma zu erfahren?
Hier ist zu unterscheiden zwischen dem, was geschieht und dessen Folgen. Weil der Traumabegriff doppelt verwendet wird. Das, was geschieht, geschieht ja derzeit so gut wie allen. Wie sich das, was geschieht, auswirkt, ist unterschiedlich. Gefährdet sind daher eher die Menschen, die über zu wenige schützende Möglichkeiten verfügen oder schon vorgeschädigt sind, um mit der belastenden Erfahrung fertig zu werden.
Woran erkenne ich, dass ich traumatisiert bin?
Das kann vielschichtig sein. Unruhe könnte sich zeigen, bisher nicht bekannte Ängste und sogar Panik. Ständiges sich beschäftigen mit dem was jetzt schwierig ist, keine Ruhe finden. Oder im Gegenteil, sich erstarrt fühlen.
Was können Menschen tun, die frühere Erfahrungen gemacht haben zum Beispiel mit Isolation und jetzt möglicherweise traumatisiert oder retraumatisiert werden?
Für quasi erzwungene Isolation, wie sie uns jetzt gerade widerfährt, ist vermutlich kein Mensch „gemacht“. Wir sind soziale Wesen! Es ist wichtig anzuerkennen, dass diese Erfahrung belastend ist und auch Angst machen kann – und eben auch darf. Wenn möglich ist Bewegung entlastend, jede Art von Bewegung vermittelt uns, dass wir nicht gänzlich ausgeliefert sind. Wenn möglich rate ich auch, immer wieder die Wohnung zu verlassen. Falls man in Quaratäne ist, sich klar zu machen, dass das vorübergehend ist. Aber eines ist klar: Das sind schwierige Situationen. Und das sollte man nicht schön reden. Wenn man sich aber sagen kann: Das ist schwer und ich will und kann das meistern, kann das hilfreich sein. Ich halte im Übrigen die Metapher „wir sind im Krieg“ für sehr gefährlich. Wir sind in einer sehr herausfordernden Situation, aber im Krieg sind wir nicht. Und es geht uns hier in Deutschland mehrheitlich auch viel besser als vielen Menschen sonst auf der Welt.
Es gibt viele Menschen die Panikattacken und Ängste erfahren. Wie können diese Menschen aus Ihrer Sicht mit den Ängsten unter gegebenen Umständen umgehen?
Ängste und auch das Erleben von Panik sind normale Reaktionen auf eine Erfahrung, die über uns hereinbricht und die wir wenig gestalten können. Also scheint es mir wichtig, dass wir uns solche Reaktionen erlauben, aber sie nicht überbewerten. Man kann sich sagen: Da ist Panik und ich bin mehr als meine Panik. Denn das ist auch wahr. Wenn ich mir bewusst mache, was noch alles da ist, kann das sehr erleichternd wirken. Das habe ich vielfach mit meinen PatientInnen erfahren dürfen. Es ist dies kein Schönreden, womit man sich selbst betrügen würde, sondern ein Akzeptieren und die Dinge beim Namen nennen. Das kann erleichternd wirken.
Die Welt scheint gerade aus den Fugen zu geraten. Diese Tendenz zeichnete sich schon vor der Krise ab. Was können wir tun, um in solchen Zeiten in unsere Mitte zu kommen und dort zu bleiben. Besonders dann, wenn man traumatisiert ist.
Herausfinden, was einem Halt und Geborgenheit vermittelt und diese Gelegenheiten immer wieder herbeiführen. Da das sehr vielfältig ist, lässt sich keine allgemeine Empfehlung aussprechen.
Wie erklären Sie sich die starke Spaltung in der Gesellschaft, die gerade stattfindet?
Das hat sicher viele Gründe. M.E. zeigt sich in solchen Situationen wie jetzt alles, was ungeklärt ist. Und da gibt es Vieles! Soziale Ungerechtigkeit, die in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Dass es danach aussieht als würden die die ohnehin haben noch mehr bekommen und die, die wenig haben noch weniger. Derartige soziale Ungerechtigkeiten spalten. Das, was sich jetzt zeigt, war alles schon da. Krisenzeiten machen solche Dinge wie soziale Ungerechtigkeit deutlicher.
Dr. Luise Reddemann vermittelt in ihren Büchern viele hilfreiche Tipps im Umgang mit Traumata. Zwei davon sind:
„Imagination als heilsame Kraft“ (Klett-Cotta)
„Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“ (Herder)
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