Das Glück der kleinen
Dinge liegt für mich darin, uns selbst immer mehr zu entwickeln, damit wir zu
unserem wahren Wesen vordringen. „Der Schlüssel zur Selbst-Entfaltung“ zeigt
dir auf, wie du einen Weg aus dem Leid findest. Geschrieben wurde er von Florian
Palzinsky.
Der Schlüssel zur Selbst‐Entfaltung
Es gibt fünf
Punkte, die ausschlaggebend dafür sein können, ob wir ein Ziel irgendwann
einmal erreichen, oder ob wir unser Vorhaben schon vorher abbrechen bzw. es im
Sand verlaufen lassen. Auch wenn ich diese essenziellen Stützen einst von dem
indischen Yogalehrer Aadil Palkhivala kennen lernte, sind sie auf unzählige
Bereiche des Lebens praktisch anwendbar.
1) Sehnsucht 2) Wille 3) Anleitung 4) Praxis 5) Geduld
Um sich auf
einen langen, mühsamen und undurchsichtigen Weg zu machen, ist etwas Not‐wendig, dass jeder von uns
tagtäglich mehr oder weniger erfährt: nämlich die Erfahrung von Unzufriedenheit
und Leid. ‚In a nutshell‘ hat der Buddha einmal seine Lehre so
definiert:
„Ich lehre nur zwei Dinge: Leid (dukha) und den Weg, der aus dem Leid führt.“
Die Ursache
für jegliches Leiden ist Anhaftung (upādāna) und Begehren (tanhā), d.h. der
Versuch, den unberechenbaren Lebensstrom unter Kontrolle zu bekommen, weg vom
Unangenehmen und hin zum Angenehmen. Die Ursache ist die illusorische
Identifikation (maya) mit unserem begrenzten Menschsein in einer unbeständigen
Welt.
Es gibt
einige wenige weise Menschen, die nicht erst mit dem Kopf gegen die Wand fahren
oder brutal am Boden der weltlichen Realität aufschlagen müssen. Sie begreifen
schon vorher, dass Leben immer lebensgefährlich ist, niemand Krankheit und
Altern entkommen kann, und alle sinnlichen Freuden bedingt und beschränkt
sind.
Eigenschaften für ein zufriedeneres Leben
Da die
meisten von uns leider nicht mit dieser transzendierenden Erkenntnisfähigkeit
gesegnet sind, können wir uns zumindest mit Hilfe dieser Eigenschaften einem
zufriedenen Leben herantasten:
1) Sehnsucht
Nicht jeder, der leidet, will auch unbedingt das Unglück oder
dessen Ursache loswerden. Denn das Ego kann sich dadurch auf eigenartige Weise
definieren, in Selbstmitleid versinken oder darin sogar den Sinn des Lebens
darin sehen. Wenn aber Leid unerträglich wird, dann entsteht ein notgedrungener
Wunsch nach einer Existenz ohne Schmerz, Angst, Trauer, Wut, Verzweiflung oder
Depression. Doch diese Sehnsucht bedeutet noch lange nicht, dass man auch eine
Ahnung hat, wie man in stürmischen Zeiten einen friedlichen Hafen erreichen
kann.
2) Der Wille
… gibt der unklaren Sehnsucht Kraft und Richtung. Wer wünscht sich
nicht, hie und da einen Zustand wie Übergewicht oder eine Gewohnheit wie
Rauchen zu ändern? Wenn sich aber nicht genug Unzufriedenheit oder sogar Wut
aufgestaut hat, wird die transformierende Kraft eines zielgerichteten Willens
fehlen. Jedes Vorhaben, das Disziplin und Ausdauer braucht, wird dann zu einer
bloßen Tagträumerei, die keiner Alltagsrealität standhält.
Nicht nur im
Buddhismus ist die Macht des Entschlusses ein wichtiger Faktor zur
Selbstentfaltung:
„In dem
Augenblick, indem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die
Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen,
um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch
die Entscheidung, und er sorgt zu den eigenen Gunsten für zahlreiche
unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen und materielle Hilfen, die sich kein
Mensch vorher je so erträumt haben könnte. Was immer Du kannst, beginne es.
Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt." William Hutchison Murray
3) Anleitung
Wenn einmal die inneren und äußeren Fühler nach Problem‐Lösungen ausgestreckt
sind, dann nehmen wir uns und die Welt mit einer besonderen Aufmerksamkeit wahr.
Phänomene und Situationen, die wir mit einem trägen (tamas) oder unruhigen
(rajas) Geist nicht beachten, können plötzlich zu Augenöffnern, Wegweisern und Brücken
zum Glück werden. Als der Prinzensohn Siddhartha – der künftige Buddha
Gautama ‐ zum ersten Mal heimlich den hedonistischen Käfig seines
väterlichen Palastes verließ, begegnete er vier sogenannten „Himmelsboten“:
einem Kranken, einem Alten und einem Toten. Jeder von ihnen zeigte ihm einen
bis dahin unbekannten Aspekt des Lebens auf. Als er dann dem vierten „Boten“,
einem Wandermönch begegnete, spiegelte dieser sein wahres Dharma (Lebenssinn)
wider. Daraufhin ließ er seine Familie und seine weltlichen Pflichten hinter
sich, um das zu finden, was nicht der Krankheit, dem Alter und dem Tod
unterworfen ist: Nirwana, die bedingungslose Befreiung.
Die wenigsten
Suchenden haben das Glück, gleich am Anfang ihres Weges einem Lehrer, einer
Meisterin oder einer Lehre zu begegnen, die sie genau dort abholen und
weiterführen, wo sie gerade in ihrem Leben stehen und stecken. Manche
spirituellen Anweisungen passen für eine gewisse Zeit, aber irgendwann
entwickelt man sich weiter und das einst Stimmige wird überflüssig oder sogar
hinderlich. Wie eine Schlange, die ihre alte Haut abstreift, oder ein Kind, das
irgendwann die Lust am Sandkasten‐Spielen verloren hat.
Ich
verbrachte die ersten zweieinhalb Jahre meines Mönchslebens im abgelegenen
Nordosten von Thailand mit einem buddhistischen Meister, den alle als
Erleuchteten verehrten. Anfänglich war ich davon ebenfalls überzeugt und machte
bei diesem religiösen Gehabe fromm mit. Als aber mein kritischer Hausverstand
irgendwann dagegen Einspruch erhob, packte ich meine wenigen Sachen und suchte
mein spirituelles Glück woanders. Natürlich kann man manchmal schon beim Lesen
oder Hören von bestimmten Anweisungen intuitiv spüren, dass sich etwas
unstimmig anfühlt. Ein guter Gradmesser kann auch sein, wenn man spirituelle
Lehrer und „Heilsverkünder“ mit einem offenen und kritischen Auge unter die
Lupe nimmt: Wie sattvisch ist tatsächlich ihr Verhalten und ihre Ausstrahlung,
oder wie stark sind diese von Gier, Hass und Verblendung geprägt?
4) Praxis
Von einer spirituellen Praxis kann man erst dann wirklich
sprechen, wenn man sie über einen längeren Zeitraum beibehält, denn
Regelmäßigkeit ist oft der transformierende Faktor – nicht nur bei der
Entfaltung von spirituellen Qualitäten, sondern auch bei allen Künsten und in
weltlichen und alltäglichen Handfertigkeiten. Wenn man mit einer bestimmten
Praxisform anfänglich nicht gleich klar kommt oder mit Widerständen reagiert, heißt
das noch lange nicht, dass sie falsch ist. Manchmal muss man erst längere Zeit
üben, damit etwas in Fluss kommt und um herausfinden zu können, ob wir dadurch
liebevoller, durchlässiger und bewusster werden, oder vielleicht sogar
irritierter, enger und achtloser. Diesen Realitätscheck kann kein*e Lehrer*in
und keine Tradition für uns übernehmen, denn es gibt keine Praxis, die immer
für alle passend ist.
Hermann Hesse
beschreibt den transformierenden Pfad in einer ganz besonders poetischen Weise
in dem Gedicht „Stufen“:
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.“
4) Geduld
Es kann sein, dass die notwendige Sehnsucht da ist, der befeuernde Wille, die
richtigen Anweisungen und die effektive Umsetzung in die Praxis ... und
trotzdem kommen wir kurz vor der Ziellinie zum Stehen, nur weil die Geduld
nicht ausreichend vorhanden ist.
Franz Kafka
sagte einmal: "Vielleicht aber gibt
es nur eine Hauptsünde: die Ungeduld. Wegen der Ungeduld sind die Menschen aus
dem Paradies vertrieben worden, wegen der Ungeduld kehren sie nicht zurück“.
Geduld und
Vertrauen dürfen aber nicht auf Kosten einer feinfühligen und realistischen
Einschätzung gehen. Es kann ein harter Moment am spirituellen Weg sein, wenn
man sich nach Jahren der überzeugten Praxis irgendwann doch eingestehen muss,
dass alle Bemühungen trotz ‚blood, sweat & tears‘
schlussendlich nicht viel gebracht haben. Aber was sind schon ein paar Jahre
auf der langen Reise zu uns selbst, die wir vielleicht schon viele Leben vorher
begonnen hat und vielleicht auch noch viele weitere Transformationen
weitergehen werden. Keine Praxis wird je ganz umsonst sein, denn wir können
immer etwas dazulernen, und sei es nur mehr Vertrauen oder neue Einsichten.
Spiritualität ist nicht immer logisch nachvollziehbar, sondern von Paradoxen
durchwachsen.
So fordert
beispielsweise Anthony de Mello: „Der
Drang nach Veränderung ist der Feind der Liebe. Meint nicht, euch selbst
verändern zu müssen: nehmt euch an und liebt euch so wie ihr seid […] dann
werden Veränderungen auf wunderbare Weise von selbst eintreten – zu ihrer
eigenen Zeit. Gebt euch dem Strom des Lebens hin … frei und unbeschwert von
Gepäck!“
Aus der
yogischen Perspektive soll ich und die Welt so annehmen, wie ich und sie sich
gerade präsentieren und uns den undurchschaubaren Kräften mit Respekt und
Gelassenheit hingeben (Bhakti-Yoga).
Auf der anderen Seite werden selbstloses Agieren (Karma‐Yoga) oder spezifische körperliche und mentale Übungen (Hatha‐Yoga) empfohlen. Manchmal braucht
es aber einfach nur ein Loslassen der dualistischen Sichtweise von Subjekt und
Objekt, von richtig und falsch. Dann erkennen ich – wie nach einem Traum, dass
ich nicht eines von unzähligen anderen Individuen in der Welt bin, sondern sich
das ganze Universum in mir befindet (Jnana‐Yoga).
von Florian Palzinsky www.yogaundmeditation.at
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