Sonntag, 25. Oktober 2015

Sei frei und werde glücklich

Wenn wir uns vorbehaltslos für uns selbst öffnen, werden wir reich beschenkt. Dann entdecken wir, dass wir einen großen Schatz in uns tragen: unseren Wesenskern, der einem Juwel gleicht. Diesen freizulegen und zum Strahlen zu bringen, ist der Grund unseres Daseins.

Meine Yogaretreats beginne ich gerne mit folgender Geschichte: „Michelangelo war ein begnadeter Bildhauer und einer der größten Künstler seiner Zeit. Eines Tages ging er in Florenz spazieren. Er kam an einem Geschäft für Steinblöcke vorbei und schaute sich lange die zahlreichen kleinen und großen Steinblöcke auf dem Hof an. Als er einen Block sah, der versteckt hinter all den anderen stand, entschied er sich für eben diesen: „Diesen Block hätte ich gerne. Den möchte ich kaufen.“ Der Marmorhändler, der die Kunstwerke des Meisters kannte, erwiderte: „Dieser Block ist nicht gut. Ich kann ihn Dir nicht empfehlen. Er hat zu viele Maserungen.“ Michelangelo aber bestand aber darauf. „Doch, doch! Genau den will ich haben! Ich komme hinterher vorbei und zeige Dir, was daraus geworden ist.“ Aus diesem Block schuf Michelangelo die Pietà. Es ist jene wunderschöne und eindrucksvolle Skulptur, die heute im Petersdom in Rom steht. Sie zeigt Mutter Maria mit dem toten Jesus auf den Armen. Es ist ein einzigartiges Kunstwerk, das die meisten Menschen zutiefst berührt. Michelangelo zeigte die Pietà dem Steinhändler, der überrascht fragte: „Ich kann es nicht glauben! Aus meinem Block hast du sie gemacht?“ Michelangelo lächelte und erwiderte dem Steinmetz: „Nein, ich habe sie nicht gemacht. Sie war die ganze Zeit schon in ihm enthalten. Ich habe nur alles entfernt, was nicht dazu gehörte.“

Nach dem Ende der Geschichte halte ich zumeist ein wenig inne. Ich schaue in die Augen der Teilnehmer und sage zu ihnen:“ Auch in Dir, in mir, in jedem von uns ist die Pietá. Guckt einfach in den nächsten Tagen, ob sie sich zeigt, wenn ihr all das weglasst, was nicht zu Euch gehört.“ Viele der Anwesenden schauen mich dann erstaunt, verwundert oder zweifelnd an. Ich kann ihre Gedanken förmlich sehen: „Also ich bin damit bestimmt nicht gemeint!“ oder „Weglassen? Was genau ist damit gemeint?“ oder „Das werde ich nie schaffen, die Pietá in mir freizulegen.“

In den folgenden Tagen eines solchen Retreats komme ich dann ganz bewusst immer wieder auf die Pietá in uns zu sprechen. Und ich bin dabei immer wieder betroffen, wie wenig wir es uns selbst zuzugestehen, etwas ganz Besonderes zu sein. Die meisten Menschen können sich leichter mit einer negativen Haltung sich selbst gegenüber identifizieren, als mit dem Juwel in sich, der die Pieta des Michelangelos ja so grandios verkörpert. Immer wieder begegnen mir in meinen Kursen Menschen, die nicht als Wunschkind ihrer Eltern geboren wurden und sich deshalb für ihr Dasein auf Erden schuldig fühlen. Anderen wiederrum glauben, eher eine Belastung für ihre Umwelt zu sein, anstatt diese durch ihr bloßes Dasein zu bereichern. Wieder andere meinen, sich ihr Dasein überhaupt erst einmal verdienen zu müssen – und in Folge dessen, um sehr viel leisten müssen, um den Juwel in sich erstrahlen lassen zu dürfen. Für die meisten aber ist es sowieso kaum vorstellbar, dass wir seit unserer Geburt einen solchen Juwel in uns tragen, der nicht erworben werden muss, sondern der einfach da ist und darauf wartet, von uns gesehen zu werden. Viel zu früh ist dieser Juwel überdeckt worden mit Konditionierungen, Wünschen und Vorstellungen, die andere Menschen, die unsere Einstellung zu uns selbst sehr prägen – etwa unsere Eltern, Lehrer oder selbst unsere Freunde und Partner an uns stellen. Das führt dazu, dass wir meinen, besonders lieb, gut, schön, anpassungsfähig sein zu müssen oder etwas besonders leisten zu müssen, um eine Daseinsberechtigung zu haben. So formt sich im Laufe unseres Lebens das um unseren Juwel herum, was Michelangelo in seiner Arbeit entfernte, um die Pieta freizulegen.

Einfach nur sein

Auch im Yogaunterricht sind wir übrigens nicht davor gefeit, unseren Juwel mit dem, was nicht zu ihm gehört, zu belasten: So glauben wir, besonders gute, fleißige Yogaschüler sein zu müssen oder meinen, einen perfekten Unterricht liefern zu müssen, damit etwas durch uns als Yogalehrer hindurch strahlen darf. Darüber hinaus gilt für uns alle paradoxerweise, dass wir den Juwel in anderen Menschen leichter sehen und fördern als unseren eigenen.  

Damit wir im Yoga mit unserem Juwel in Kontakt kommen, lade ich besonders jene Teilnehmer gerne ein, sich von der äußeren, perfekten Form einer asana freizumachen und sie statt dessen von innen heraus wahrzunehmen. So eben wie Michelangelo die Pietá auch nicht „gemacht“ hat, sondern weggenommen hat, was nicht dazu gehörte. Meiner eigenen Erfahrung nach kann eine Yogahaltung nämlich ein Tor sein zu unserem Juwel. Das geschieht dann am ehesten, wenn wir uns vorbehaltslos und erwartungslos der Haltung hingeben, mit unserem Atem verschmelzen und uns ihr hingeben – ohne sie besonders anatomisch korrekt oder formschön ausfüllen zu wollen, oder um unseren Nachbarn auf der Yogamatte zu beeindrucken. Denn, wenn wir sie nicht willentlich machen, sondern sie von unserem Herzen aus ausführen und dann loslassen, kann es geschehen, dass der Juwel uns begegnet oder wir ihm.

Erfahrungsgemäß fällt eine solche Art von Praxis vielen Teilnehmer nicht leicht. Sie halten sich an der äußerlich perfekt ausgeführten Asana fest. Natürlich ist eine anatomisch richtige Ausführung wichtig, aber kann uns aber gleichzeitig davon abhalten, uns selbst zu erfahren, uns selbst zu spüren und uns selbst wahrzunehmen – auf allen Ebenen: der rein körperlich strukturellen, der emotionalen und auch der spirituellen Ebene. Hierzu eine kleine Episode aus meinem letzten Yogaretreat, die mich zutiefst berührte: Eine Iyengarschülerin mit 9 Jahren Erfahrung fragte ich nach mehreren Tagen, wie es für sie sei, sich von innen heraus wahrzunehmen und sich der Haltung achtsam hinzugeben, ohne den Anspruch, diese „perfekt“ ausführen. Darauf schaute sie mich etwas verlegen an und antwortete mir: „Das macht mir Angst! Dann komme ich mir einfach zu nahe“. Aussagen wie diese höre ich von meinen Teilnehmer sehr oft. Erstaunlicherweise haben sie Angst dafür, sich selbst zu begegnen. Und das, obwohl es eines der wichtigsten Ziele im Yoga ist. Und gerade deshalb werde ich nicht müde, jeden von ihnen zu ermutigen, neugierig und mutig den Blick nach innen zu weiten und über das hinwegzuschauen, was uns verletzt hat und all das wegzunehmen, was den Juwel überlagert.

Diese Aufforderung auszusprechen ist natürlich leichter als ihr zu folgen. Wer von uns traut sich schon, sich einzugestehen, einen Juwel in sich zu tragen? Wer von uns hat schon den Mut, sich aus Kontexten zu lösen, die uns eher klein halten, anstatt das, was uns so einzigartig machen, zu fördern und zu zeigen? Diejenigen, die den Mut hatten, ihren Juwel zum Strahlen zu bringen, wissen, dass es sich lohnt, all das hinter sich zu lassen, was uns klein und uniform erscheinen lässt.

Ich bleibe dabei: Yoga ist ein wunderschönes Tor zu unserem Juwel. Der Yoga verbindet in den Asanas, durch Pranayama, Tiefenentspannung, Visualisierung oder in der Meditation – oder in einer Mischung aus allem - Körper und Geist und ermöglicht es uns, in einem Moment der totalen Hingabe eine Öffnung zu dem, was uns eigentlich ausmacht. Manchmal helfen aber auch besonders Visualisierungsübungen, um den im Unbewussten schlummernden Juwel ins Bewusstsein zu holen. Wenn wir uns zum Beispiel auf eine mentale Reise begeben, mit dem Ziel, unseren Juwel zu erfahren, kann diese innere Reise uns reich beschenken. Wie unser ureigener Juwel aussieht, ist uns selbst überlassen. Wir sollten auch hier den Mut haben, die Bilder da sein zu lassen, die sich uns zeigen. Die Größe und Schönheit unseres eigenen Juwels kann manchmal so überwältigend für uns sein, dass wir bei seinem erstmaligen Anblick in Tränen ausbrechen, weil wir zutiefst berührt sind. Eine solche Erfahrung kann dann ein sehr heilsames Gegengewicht zu all den negativen Vorstellungen über uns selbst herstellen und uns einen Weg in die Freiheit bahnen.

Wenn wir keine unmittelbare Erfahrung zu dem Juwel haben, dann kann uns die regelmäßige Visualisierung des Juwels in unserer täglichen oder wöchentlichen Yogapraxis dabei helfen, nach und nach Zugang zu ihm zu finden. Anfangs vielleicht nur als eine Idee. Im Verlaufe der Zeit kann es aber passieren, dass wir mit diesem Bild immer vertrauter werden und es uns nach und nach vorstellen können, dass dieser Teil wirklich in uns existiert. Eine solch regelmäßige Visualisierung kann uns darin unterstützen, in dem Juwel eine Art Rückhalt zu finden, um so unsere umfassende Persönlichkeit kennenzulernen und sie zu harmonisieren. Dadurch können wir sowohl im inneren Erleben als auch im Äußeren Erfahrungen machen, die unser Erleben von uns selbst und der Welt enorm bereichern und unser Bewusstsein erweitern. Und noch eines wird dadurch möglich: Wir können jene ungelebten Potentiale in uns zum Leben erwecken, die in uns geschlummert haben. Jeder Mensch, der weiß, dass in ihm ein Juwel wartet, wird die Angst verlieren, sich selbst nahe zu kommen. Stattdessen wir er neugierig und freudig die Entdeckungsfahrt in sein eigenes Inneres antreten uns so zu seinem eigenen Lehrermeister werden.

Diese Erfahrung unseres Juwels, der Pieta in uns durch die Yogapraxis, der uns ja mit unseren tieferen Wesensschichten in Kontakt bringt, führt zu einer Bereicherung unseres gesamten inneren und äußeren Wesens sowie - darin enthalten - zu einem tieferen und umfassenderen Verständnis unserer wahren Bedürfnisse.

Im Zustand von Yoga, dem Wissen um den eigenen Juwel, in dem sich das Bewusstsein für den inneren Reichtum öffnet spüren wir, dass äußerer Reichtum nur eine kurzfristige Befriedigung darstellt. Das kann dazu führen, dass Dinge, die uns vorher wichtig waren, ihre umfassende Bedeutung verlieren. Vielleicht werden wir uns bewusst, dass materieller Reichtum zwar schön und angenehm sein kann, aber der innere Reichtum dem nicht nahekommt. Ängste werden sich auflösen, die einen vorher aus dem Mangelbewusstsein angetrieben haben, nicht gut, nicht schön oder nicht fleißig genug gewesen zu sein. Vieles, was nicht zu uns gehört hat, kann gehen und unserem ureigenen, besonderen Licht und Strahlen Platz machen. Wenn wir uns mit dem Juwel in uns verbunden haben, dann gestaltet sich unser Leben, all unsere Gedanken, Gefühle und Entscheidungen nicht einfacher, aber natürlicher.

Es gibt also eine „gute“ und eine „schlechte“ Nachricht: Die „gute“ Nachricht: Es gibt ihn also, den Juwel. Und zwar in jedem von uns! Die „schlechte“ Nachricht: Nur durch eine kontinuierliche Praxis kann dieser Juwel erkannt und zum Scheinen gebracht werden. Günstig ist dabei eine Mischung von Gleichmut und von Disziplin – so können wir unseren Juwel, wenn entdeckt, immer mehr in seiner Ursprünglichkeit heben. Dieser Prozess, den Juwel in sich selbst zu erfahren, führt aus meiner persönlichen Erfahrung durch die verschiedensten Bewusstseinsschichten, durch Licht und Schatten, durch Illusionen und unmittelbare Erfahrungen. Es ist ein wundervoll lohnenswerter Prozess, der wohl lohnenswerteste für uns Menschen überhaupt und gleichzeitig wohl auch mit einer der schwierigsten für uns.

So würde ich im Verlaufe eines Yogaretreats die Geschichte von der Pietá am liebsten jeden Tag vorlesen, damit die Teilnehmer sich immer wieder daran erinnern, dass jeder einen solchen beherbergt, wir alles anderen nur abtragen müssen. Warum ich sie gerne wiederholen würde? Weil bereits Lama Jeshe zu sagen pflegte: Wir müssen die Wahrheit Tausend Mal hören, bevor sie Wirklichkeit wird.“

Lust auf mehr?!
„Nur Mut! Entdecke den Juwel in Dir und erfahre tiefe Glückseligkeit“ (Sat Chit Ananda) – Yoga Seminar mit Doris Iding am 21. und 22. November 2015

Jeder Mensch ist einzigartig! Jeder Mensch trägt einen unendlich großen Schatz in sich, den wir mit Hilfe von Yoga bergen können. Dazu brauchen wir nur ein bisschen Mut, eine Portion Neugierde und die richtigen Werkzeuge! Davon hat Yoga mehr als genug. In diesem Workshop lernst Du sie kennen!

Die erfahre Yogalehrerin, Journalistin, Buchautorin und Ausbilderin Doris Iding wird uns am Wochenende des 21. und 22. November 2015 tief bewegen und inspirieren, wie wir lähmende Selbstzweifel und Ängste abschütteln und mit Mut, Zuversicht und Vertrauen in uns selbst unsere eigenen Ideen verwirklichen können. 

Habt Mut in Euch zu vertrauen – das Glück gehört den Mutigen!

Der Yoga Workshop mit Doris Iding findet zu folgenden Zeiten bei AIRYOGA, Blumenstrasse 6, 80331 München, statt:

Samstag, 21. November 2015 von 14:15 - 16:45 Uhr: Nur Mut - Augen auf für deine eigene Einzigartigkeit!
Eine Mischung aus Asanas, Pranayama und Meditation zeigt Dir, wie Du deinen unruhigen, ewig nörgelnden Geist zu Ruhe bringen kannst und eintauchst in einen Dir innewohnenden Raum der Ruhe und des Friedens. In diesem Raum kommst du in Kontakt mit Deiner Einzigartigkeit, die nur darauf wartet, von Dir entdeckt und ans Licht gebracht zu werden.  Dazu braucht es nicht viel. Du musst nichts machen, nichts können und nichts beweisen. Einfach nur offen sein und den Mut haben zu erfahren, dass Du viel mehr, viel größer und viel einzigartiger bist, als zu bislang geglaubt hast.

Sonntag, 22. November 2015 von 8:15 - 10:45 Uhr & 13:00 - 15:30 Uhr: Nicht falsch verstehen - Hör auf deine innere Stimme und folge ihr!
Die eigene Stimme hören, ihr folgen und ihr vertrauen, das lernst Du in diesem Workshop. In die Asana hineinentspannen, den Blick nach innen richten und den Körper in der Tiefe wahrnehmen. Erkennen, dass dein Körper für Dich arbeitet und nicht gegen Dich. Die eigenen Grenzen erkennen und annehmen. Mit Dir gehen, anstatt gegen Dich zu arbeiten. Durch besondere Pranayama-Übungen lernst Du dich selbst besser kennen – und lieben.  Asanas, Atemübungen und Meditationen sind die Schlüssel zur eigenen Glückseligkeit – zu Sat Chit Ananda. Jener Glückseligkeit, die nichts braucht und alles beinhaltet.

In allen drei Workshop-Sessions wird auch Bezug auf verschiedene yogische Schriften genommen.

Der Workshop ist für Yogi(ni)s aller Könnerstufen geeignet.

Doris unterrichtet auf Deutsch.
Kosten gesamter Workshop/ 3 Sessions: € 130
(Frühbucher bei Buchung & Zahlung bis 6. November 2015: € 110)
Kosten einzelne Session: € 50
(Frühbucher bei Buchung & Zahlung bis 6. November 2015: € 45)
Bitte beachten Sie die Reservierungs- und Stornierungsbestimmungen für Workshop-Anmeldungen.

Bei Fragen zur Anmeldung und zur Workshop Anmeldung wenden Sie sich bitte an: muenchen@airyoga.com





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