Freitag, 25. August 2017

Die aktuelle Buchempfehlung: Warum Psychotherapie wirkt. Arbor Verlag 2017

Heute gibt es mal wieder eine Buchempfehlung!

Das menschliche Gehirn dürfte das einzige Organ auf diesem Planeten sein, das sich selbst erforscht, so hat es – wiederum – einmal ein kluger Kopf formuliert. Gerade in den letzten zehn bis 15 Jahren sind auf dem Gebiet der Neurowissenschaften hochinteressante und bahnbrechende Studien durchgeführt worden, zum Teil mit sehr erstaunlichen Ergebnissen. Anhand dieser neuen Erkenntnisse erklärt der New Yorker Psychologe Louis Cozolino in seinem spannenden Buch „Warum Psychotherapie wirkt“ den Wirkmechanismus der Psychotherapie. Trotz des teilweise hohen wissenschaftlichen Niveaus gelingt es Cozolino, komplexe neurowissenschaftliche Zusammenhänge allgemein verständlich zu formulieren.

Manche Methode aus dem Bereich der Psychotherapie, die seit Jahrzehnten oder schon seit Freud angewendet wird, war lange in ihrer Wirksamkeit nicht erklärbar. Mit Hilfe der modernen Neurowissenschaft jedoch kann nun vieles nachvollzogen werden, was wiederum der Modifikation der Therapieformen dient – hin zu größerer Wirksamkeit.

Ein Beispiel: Der Autor räumt dem „Geschichten erzählen“ („story telling“) als klassischem Teil der Gesprächstherapie oder Psychoanalyse eine – neurowissenschaftlich fundierte – hohe Bedeutung ein. Denn unter Stress verliert das Gehirn buchstäblich die Fähigkeit des Formulierens von Gefühlen. Und das geschieht, kurz formuliert, so: Die Amygdala, der so genannte Mandelkern, ein kleiner, aber wichtiger Bereich des Gehirns, der sich zunächst bei Reptilien ausbildete, wurde von den sich später entwickelnden Säugetieren, wie den Primaten und dem Menschen beibehalten. Die Amygdala ist dafür zuständig, Gefahren zu erkennen, einzuschätzen und die Entscheidung zu treffen, ob Kampf oder Flucht angesagt sein könnten. Im Regelfall entscheidet sich der Mandelkern für Flucht, evolutionstechnisch ein kluger Schachzug, der der Erhaltung der Art dient. Der moderne Mensch allerdings muss sich nun nicht mehr vor dem Säbelzahntiger in Sicherheit bringen – gerät aber trotzdem in mitunter extreme, emotional stressige Situationen. Die angespannte Amygdala verhindert dann allerdings, dass der „modernere“ Teil des Gehirns, der sich um soziale Beziehungen und Problemlösungen kümmert, eingeschaltet wird. Darüber sollten wir uns im Klaren sein: Im Angesicht der Bedrohung ist Arterhaltung im Sinne unseres immer noch recht archaisch agierenden Nervensystems wichtiger als soziale Beziehung. Das Ergebnis, natürlich stark verkürzt: Ängste werden zu Phobien, das Denken wird wirr – und das Sprachzentrum gehemmt. Durch das Erzählen der eigenen Geschichte im geschützten Raum mit dem Therapeuten kann sich die Amygdala quasi in die Hängematte legen. So holt sich der Klient/das Gehirn in der Psychotherapie die Fähigkeit zurück, „sich mit sich selbst und anderen wieder zu verbinden“, schreibt Cozolino.

Dieses und viele andere Beispiele, auch aus dem eigenen Erleben des Wissenschaftlers, illustrieren sehr anschaulich die Wirkungsweise der Psychotherapie auf das menschliche Gehirn. Die Einteilung des Buches in die drei Kapitel „Das denkende Gehirn“, „Das soziale Gehirn“ und „Dissoziation und Integration – Anwendungen in der Psychotherapie“ ist übersichtlich und strukturiert. Einzelne Unterkapitel widmen sich spannenden Themen wie der Einteilung der Klienten in Alpha und Beta-Menschen, der Entstehung und Behandlung des Borderline-Syndroms oder auch der wertvollen Erkenntnisse über das Bewusstsein aus dem Buddhismus und deren Anwendung in der modernen Psychotherapie.

Mein Fazit: Ein wertvolles, hochinformatives wie spannendes Buch, nicht nur für Therapeuten oder deren Klienten, sondern auch für alle, die sich für die verschlungenen Pfade des eigenen Gehirns und somit des Bewusstseins interessieren.


Titel: Warum Psychotherapie wirkt – Mit unserem Geist das Gehirn verändern
Autor: Louis Cozolino
Verlag: Arbor
Preis: 19,90€
ISBN-13: 978-3867811804



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