Fünf Minuten lang ruhig auf einem Stuhl sitzen und in das eigenen Innere hineinfühlen. Für die meisten Menschen klingt das nach einer lächerlichen Herausforderung oder nach einer willkommenen Pause im eigenen Alltag. Doch für Herrn M., einen Klienten von mir, ist dieses kurze Loslassen, die fünfminütige Ruhe, eine Handlung, die ihm zutiefst zuwider ist. In keiner Weise kann er diese mit seinen eigenen Prinzipien vereinbaren. Nach kürzester Zeit ist im gesamte Raum seine Nervosität und sein Unbehagen deutlich spürbar.
Bei diesem Menschen handelt es sich um einen 50-jährigen Geschäftsmann, tätig in einem großen Münchner Konzern. Er ist sehr erfolgreich, übt in seinem Beruf viel Macht aus und wird gehaltstechnisch dementsprechend entlohnt. Ein Szenario, von dem viele strebende und ehrgeizige Angestellte nur träumen. Ihm wird viel Anerkennung für seine Leistung entgegengebracht und auch Neid ist ein ständiger Begleiter seines Alltags.
In den Köpfen vieler Menschen wird Reichtum und Erfolg mit Glück und Lebensfreude gleichgesetzt. Doch dieses Gleichnis ist falsch und beherbergt eine trügerische Illusion.
Gemeinsam meditieren und achtsam sein
Etwa ein bis zweimal die Woche treffen wir uns für Einzelsitzungen, in denen ich ihn coache, Achtsamkeitsübungen mit ihm mache und mit ihm meditiere. Mit unterschiedlichsten Übungen unterstütze ich ihn auf seinem Weg zu mehr Gelassenheit und Selbstmitgefühl. Denn diese Weichenstellung ist unbedingt notwendig, damit sein Weg nicht in einer Sackgasse, beispielsweise einem Burnout mündet.
In unserer ersten Sitzung konnte ich eine Sache sofort feststellen: Mein Gegenüber hält intensiv an der Denkweise fest, dass nur jemand der schafft, arbeitet und leistet, auch etwas wert ist. Entspannung und Selbstmitgefühl können von seinen Prinzipien schlichtweg nicht zugelassen werden. Denn das würde bedeuten, Schwäche und Ineffizienz mit sich selbst zu vereinbaren. Diese Haltung machte es zu Beginn unserer Zusammenarbeit sehr schwer, zu dem Teil in ihm durchzudringen, der zu mir gekommen war, um Gelassenheit und Entspannung zu lernen.
Dem eigenen Körper
wieder Selbstmitgefühl entgegenbringen
Es gab viele Momente, in denen sich ein kleiner Erfolg andeutete. In einem Bruchteil von Sekunden wurde dieser wurde jedoch von einer Welle an Selbstkritik zerstört.
Wie viele Menschen hat Herr M. Selbstmitgefühl und Selbstliebe verlernt und den Weg für Zweifel, Selbstkritik und Selbsthass geebnet.
Dein erster und letzter Gedanke sollte dir selbst gehören. Die Überzeugung schafft das perfekte Fundament für ein ausgeglichenes Inneres. Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse sollten an erster Stelle stehen und Grundlage aller Handlungen sein.
Herr M. hielt die erste Zeit sehr fest an der Vorstellung, dass es in seiner Position eher hinderlich wäre, auf Emotionen und Körperempfindungen zu achten. So wie er denken übrigens viele meiner Klienten. Sie alle lernen erst nach und nach, Schritt für Schritt, wieder mehr auf sich selbst zu achten und nach den Prinzipien der Achtsamkeit ihre Arbeit zu machen und ihr Privatleben zu genießen.
Als Führungskraft mit sich selbst und seinen Angestellten
achtsam umzugehen, fördert den Alltag innerhalb eines Unternehmens enorm. Die
Qualität des Arbeitsalltages steigt und die Fehleranfälligkeit sinkt rapide.
Auch die Vertiefung der Fähigkeit, effizient zu arbeiten und Entscheidungen
durchdacht und begründet zu treffen, kann Potential freisetzen, von dem Du
nicht wusstest, dass es in Dir steckt.
Um eine langfristige und dauerhafte Veränderung
herbeizuführen, arbeiten wir gemeinsam an vielen kleinen Baustellen.
Die Grundlage meines Coachings besteht darin, dass Herr M.,
der aber auch genauso gut Frau A., oder Herr B., heißen könnten, die Fähigkeit
zurückerlangt, seinen Körper bewusst wahrzunehmen und die Regungen in seinem
Inneren zu deuten. Nur, wer das beherrscht, kann auf gesunde und achtsame Art
und Weise mit den eigenen Ressourcen haushalten und spürt, wann eine Pause
notwendig ist.
Jeder Mensch hat ein
Recht auf Pausen
Meinem Gegenüber fällt es in den Sitzungen schwer, zu
akzeptieren, dass Pausen notwendig sind. Jeder Mensch hat ein Recht auf
Ruhephase zwischen anstrengenden Tätigkeiten. Verweigert man dem eigenen Körper
Pausen, führt es in vielen Fällen dazu, dass Stress, Druck und Kraftlosigkeit
mithilfe von Drogen oder Alkohol kompensiert werden. An diesem Punkt beginnt
oftmals eine Spirale, aus der die meisten Menschen, ohne eine drastische
Veränderung der Lebensumstände nicht herauskommen.
Nun begleite ich Herrn M. schon ein paar Monate und langsam
kann ich klare Fortschritte beobachten. Diese Persönlichkeitsentwicklungen und
den Einfluss, den diese auf den Alltag und das Wesen meines Klienten nimmt,
empfinde ich als eine unglaubliche Erfahrung. Er beginnt, zu erkennen, dass er
auch jenseits von Leistung und Effizienz einen Wert besitzt.
Er versucht, Nichtstun nicht als verschwendete Zeit
abzustempeln. Er lernt, die Entspannung und Ruhe zu genießen und für das Auffüllen
seiner Ressourcen und den Aufbau der eigenen Resilienz zu nutzen.
Vor ihm liegt noch immer ein weiterer Weg. Doch er erkennt,
dass sich die Arbeit lohnt, da das Licht am Ende des Tunnels eine
lebensverändernde Entwicklung andeutet.
Es hat mich in meinem Innersten berührt und erschüttert,
dass sich ein toller Mann, mit Unmengen an Potential, von Druck und Forderungen
in so eine Sackgasse treiben lässt - seine eigenen Bedürfnisse ignoriert und
verdrängt und sich mit seinem Körper und seiner Persönlichkeit voll und ganz in
den Dienst der Leistungsgesellschaft begibt.
Aber Herr M. ist auf einem guten Weg. Dem Weg zu sich
selbst. Es ist der Weg, auf dem wir früher oder später alle wieder landen. Die
einen vor einem Burnout, die anderen nach einer Erkrankung. Aber früher oder
später wirft das Leben uns wieder zurück auf uns selbst. Und dann haben wir die
Chance anzukommen. Bei uns. In uns. Welch schöner Moment.
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