Jeden Tag hält das Leben zahlreiche Lektionen für uns bereit.
Erkennst du
deine eigenen?! Hier lernst du ein paar typische
Prüfungsfragen des Lebens
kennen!
Vor drei Tagen habe ich mich wahnsinnig aufgeregt über meinen
Nachbarn.
Den ganzen Nachmittag ging er mir durch den Kopf.
Innerlich habe ich ihn
angeklagt und verurteilt. Und dann schoss mir
plötzlich die Aussage einer
meiner spirituellen Lehrerinnen durch
den Kopf. Sie pflegte zu sagen: „Wenn
dich etwas länger als
drei Minuten beschäftigt, dann hat es nichts mehr mit dem
anderen zu tun, sondern nur noch mit dir selbst.“
In dem Moment wurde mir
bewusst, dass das, was mich an meinem
Nachbarn so enorm getriggert hatte, gar
nichts mit ihm zu tun hatte.
Nein, es war viel mehr ein Hinweis auf meine
eigene
Unzulänglichkeit, meine eigene Intoleranz, meine eigene Engstirnigkeit.
Kennst du solche Situationen?
Viele Facetten für unsere Lektionen
Damit wir uns unserer Selbst bewusstwerden, hält das Leben viele
Situationen für uns bereit: Glück. Magie.
Eintönigkeit. Freude. Liebe. Viren. Abwechselung.
Sehnsüchte. Masken. Schöne Wandertouren.
Verbundenheit. Schlechte
Fußballspiele. Eine Pandemie. Orientierungslosigkeit. Zufriedenheit.
Langeweile. Naturkatastrophen. Unlösbare Paradoxe. Konstante Veränderung. Wie
wir darauf reagieren,
liegt an uns selbst. Ob wir solche Erfahrungen als unsere
Lehrmeister betrachten, um achtsamer zu
werden, liegt ebenfalls an uns. Ob wir
uns des Lebens als ein großes Geschenk bewusst machen, dass dazu
bestimmt ist,
um zu lernen, zu wachsen und offener zu werden liegt ebenfalls in unserer Hand.
Und damit komm auch schon die erste Selbstreflexionsfrage, die ich gerne
an dich richten möchte.
Was ist das
Leben für dich? Ein Ponyhof? Eine Schule? Eine Besserungsanstalt? Ein
Lehrstück?
Wie reagierst du im täglichen Leben auf Situationen – oder besser
gesagt – auf Lektionen, die dir das
Leben ungefragt vor die Füße wirft? Mit
einem Lächeln? Mit einem Vorwurf? Mit dem Gefühl, Opfer
widriger Umstände zu
sein? Fragst du dich ab und zu: Was soll ich aus dieser Begegnung oder jener
Situation
lernen?
Wie wir auf unser Leben schauen, hängt von unserer Perspektive ab. Das
Yogasutra des Patanjali lehrt
uns mit den Yamas, einen bewussten Umgang mit
anderen Menschen zu kultivieren. Anderen Menschen
keinen Schaden hinzuzufügen,
zum Beispiel.
Achtest du im Kontakt mit
anderen Menschen auf diese Schadensbegrenzung?
Gerade jetzt befinden wir uns in
einer Situation, die uns alle sehr herausfordert.
Wie verhälst du dich im
Umgang mit anderen Menschen. Wie gewaltfrei sind deine Gedanken
hinsichtlich
jener Menschen oder Menschengruppen, die eine andere Haltung auf die derzeitige
Situation
haben? Kannst du ihnen trotzdem mit offenem Herzen begegnen?
Wenn wir uns diese Fragen stellen und bei der Beantwortung achtsam
bleiben, also uns selbst mit
einem offenen, wertfreien Geist betrachten, können
diese Antworten sehr heilsam und aufschlussreich sein.
Sie können uns auf einer
tieferen Ebene mit uns selbst in Kontakt bringen. Sie können uns auch darin
unterstützen, dass wir aufhören, andere Menschen oder widrige Umstände für
unsere Empfindungen
verantwortlich zu machen. Solche Fragen können uns auch
dazu führen, dass wir uns auch darüber
bewusstwerden, wie wir generell auf
unser Leben schauen. Deshalb möchte ich dir hier ein paar weitere
Fragen
stellen:
Dein Blick auf das Leben
Schaust du generell in das halb volle Glas oder ist es eher leer. Wie
wär’s, wenn du einen Moment innehälst
und du dir die letzten drei Stunden,
Tage, Wochen oder Monate vor Augen hälst. Durch welche „Brille“
hast du dein Leben
betrachtet?! War es eher leicht? Oder schwer? Eintönig, abwechslungsreich oder
langweilig? Waren es in deinen Augen eher die anderen Menschen, die dafür
verantwortlich waren oder sind,
wie du dich gefühlt hast? Oder bist du bereit,
Situationen auch immer wieder dahingehend zu überprüfen,
ob auch du einen
Anteil an der Entwicklung einer Situation hast?
Möglicherweise hattest du in deinem Leben bereits einschneidende
Erfahrungen wie einem schweren
Unfall, eine Krankheit oder einem Verlust, die
dazu geführt haben, dass du dich immer wieder fragst:
„Welchen Sinn hat das,
was mir gerade passiert?“ Vielleicht gehörst du seit einer solchen Erfahrung zu
denjenigen, die es wagen, eigenständig zu denken und die sich zu träumen wagen
von einem erfüllten Leben.
Solltest du dir die Frage nach dem Sinn deines Lebens noch nicht gestellt
haben, wäre heute
vielleicht eine gute Gelegenheit dazu. Magst du noch einmal
innehalten und dich fragen:
„Was soll das, was mir da gerade widerfährt?!“
„Habe ich den Sinn meines Lebens schon erkannt?“
„Gebe ich meinem Leben genug Sinn?“
Erst gestern sprach ich mit einer Frau darüber, dass sie sich selbst zu
Beginn der Coronakrise Gedanken
gemacht hat über den Sinn und Unsinn von
Qualität, Quantität und von Konsum an sich. Sie hat ihr
eigenes Leben
hinterfragt und festgestellt, dass sie viel weniger braucht, als sie bislang
dachte.
Sie hatte sich vorgenommen, nach der Pandemie kürzerzutreten, weniger Serien
zu schauen, mehr Freunde
zu treffen. Ja, sie wollte mehr leben, statt gelebt zu
werden. Sie wollte ihr eigenes Leben wieder häufiger
in die Hand nehmen. Aber
jetzt, so meinte sie mit gesenktem Stimme, würde sie sich so langsam wieder im
Hamsterrad einlaufen. So wär‘ das Leben halt mal. Wir wären schließlich nicht
zum Spaß hier!
Sind wir das nicht?! Wer sagt, dass wir ferngesteuert leben
sollen?! Das Leben, unser Meister?
Nein, das will, dass wir die Magie des
Moments erkennen und leben. Das ist zumindest meine Erkenntnis.
Wer auch immer riskiert, sich auf das Abenteuer selbstgelebtes Leben
einzulassen, wird alsbald realisieren,
dass leben ein Tu-Wort ist. Er wird
erfahren, was es heißt zu leben, anstatt gelebt zu werden.
Solche Menschen
genießen die Lücken in ihrem Lebenslauf. Sie genießen das Nichtstun und das
Sosein. Sie lieben Überraschungen, Vielfalt und Lebendigkeit.
Lektionen lernen
Innere, eigene Weisheit erlangen wir primär durch Verluste, Krankheiten
und Kummer. Zu Meistern
werden wir dann, wenn wir an diesen Lektionen nicht
zerbrechen. Zu großen Meistern werden wir darüber
hinaus, wenn wir Nein sagen,
wenn wir Nein meinen und einen Weg beschreiten, den vor uns noch
niemand
gegangen ist. Und sei es nur in Gedanken. Und wenn wir es ganz zu uns nehmen,
dass unser
einziges kostbares Leben, werden wir es als unsere Schule begreifen.
Dann werden wir uns vor
ihm als unseren Lehrmeister verneigen. Eine solche Herangehensweise kann unseren Blick weit werden
lassen und uns dabei helfen, den ein oder anderen Glaubenssatz unseres Inneren
Kritikers loszulassen.
Dann wird unser Herz weiter und das Leben leichter.
Zum Weiterlesen: Doris Iding: Das Leben,
mein Meister. Lotos Verlag 2021. 16 EURO