Dienstag, 13. April 2021

Leserbrief an die SZ zum Artikel „Schwierige Haltung“ von Jan Stremmel

Seit mehr als 20 Jahren schreibe ich Bücher und Artikel über Yoga und Meditation für unterschiedlichste Medien im In- und Ausland – unter anderem für YOGA AKTUELL. Darüber hinaus bilde ich seit vielen Jahren angehende Yogalehrer aus und fort. In all den Jahren lag mein Fokus darauf, ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, dass alles miteinander verbunden ist. Es war mir immer wichtig, über Menschen zu schreiben, die Yoga praktizieren und versuchen, es so gut wie möglich in ihren Alltag zu integrieren. Vielen Menschen ist dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten mal mehr und mal weniger gut gelungen.

Die Yogaszene hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Stand früher die spirituelle Suche nach Erleuchtung im Vordergrund, so ist es heute primär körperliche Fitness, die im Mittelpunkt steht. Yoga ist zweifelsohne zu einem wachsenden Wirtschaftsmarkt geworden.

Aber in all den Jahren habe ich noch niemanden getroffen, den ich als „rechts“ oder als „Rassisten“ bezeichnen würde. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst nicht diese Tendenzen habe. Es heißt ja, wenn du schwanger bist, siehst du nur noch Schwangere. Ich sehe viele Menschen, die Yoga machen, weil sie ihr Leben mit zunehmenden Herausforderungen besser bewerkstelligen möchten, mehr Selbstverantwortung für ihren Körper übernehmen möchten und einen tieferen Sinn in ihrem Leben erfahren wollen. Natürlich gibt es auch viele Narzissten und solche, die tun, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen, aber weit davon entfernt sind, zu wissen, wie man das Wort „wir“ buchstabiert.

Trotzdem hat mich der Ton des Artikels sehr erschüttert. Gerade jetzt sind viele Menschen froh, dass sie online Yogakurse besuchen können. Ein solcher Artikel führt in meinen Augen nicht nur zu einer Spaltung innerhalb der Yogaszene, die es – so, wie in dem Artikel benannt – sowieso noch nie gab. Es gibt verschiedene Strömungen, aber keine einheitliche Szene. Er treibt in meinen Augen die Polarisierung in der Gesellschaft noch ein gutes Stück voran. Und schreckt möglicherweise solche Menschen ab, Yoga auszuprobieren, die jetzt unter Einsamkeit, Rückenschmerzen oder anderen Problemen leiden – denn nun haben sie vielleicht Angst, durch Yoga in ein rechtes Milieu zu rutschen.

Der Artikel hinkt an so vielen Stellen, aber ich möchte darauf nicht eingehen. Schade finde ich einfach, dass in einer Zeit, in der Yoga so viel Unterstützung geben kann, der Graben zwischen Menschen vertieft wird.

Ich glaube, es ist höchste Zeit für uns alle, zu realisieren, dass wir im selbst Boot sitzen. Und zwar nicht in der Arche Noah, sondern in einem ziemlich morschen Boot, das im Begriff ist, den Bach herunterzugehen. Solche Artikel hauen nur noch ein weiteres Loch in den sowieso schon sehr morschen Boden. Wäre es nicht besser, wir besännen uns endlich darauf, was wir gemeinsam haben? Wäre es nicht sinnvoller, nach kreativen Wegen aus dieser Krise zu suchen, statt mit Hetze und Vorwürfen zu reagieren?

In meinen Büchern, Artikeln und Seminaren fordere ich die Leser oder Teilnehmer immer auf, ihren gesunden Menschenverstand nicht am Eingang des Seminarzentrums abzugeben, um dann einem Guru blind zu folgen. Das Gleiche sollten wir, so finde ich, auch nicht mit anderen Autoritäten wie etwa Politikern tun. Deshalb ist ein gesundes Hinterfragen der vielen nutz- und sinnlosen Maßnahmen in dieser Zeit weit entfernt von brauner oder rechter Geistesgesinnung. Und dass Menschen, die jahrelang in ihre Ausbildung als Yogalehrer investiert haben, sich kritisch äußern, frustriert sind und um ihre Existenz bangen, finde ich vollkommen verständlich. Vor allen Dingen dann, wenn ihre Existenz auf dem Spiel steht. Sie mit der rechten Szene in eine Ecke zu drängen, finde ich sehr bedenklich und traurig.
Ich glaube, dass wir uns mehr auf die Essenz des Yoga besinnen sollten. Die Wurzel des Sanskrit-Begriffs Yoga, yuj, bedeutet „zusammenführen“. Damit war ursprünglich der Ochsenspanner gemeint, unter dem die beiden Ochsen geführt werden, um den Karren zu ziehen.
Vielleicht wäre es sinnvoller und zielführender, wenn wir uns alle als Ochsen begreifen, in dem Sinne, dass wir nur gemeinsam den Karren aus dem Dreck ziehen können. Egal ob weiß, schwarz, grün, gelb oder rot. Lasst uns endlich Brücken bauen und aufhören, den Graben noch zu vertiefen. Lasst uns endlich nach dem suchen, was uns alle als Weltenbürger verbindet.
Mit freundlichen Grüßen
Doris Iding

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